Türkei und Griechenland:Die Deutschen sind gefragt

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Der Konflikt im Mittelmeer zwischen den beiden Nato-Partnern darf nicht eskalieren. Deshalb muss Berlin nun in aller Härte mit Erdoğan reden, aber auch mit Athen.

Von Tomas Avenarius

Mittelalterliche Osmanen galoppieren übers Schlachtfeld, türkische Soldaten stürmen an den Dardanellen gegen den Feind. Es folgen: Kampfhubschrauber, die aus allen Rohren schießen, Fregatten, die Raketen verfeuern und Piloten, die in rot-weißen Jets Loopings fliegen. Mal reitet der seit fast 600 Jahren tote Eroberer Sultan Mehmet II. durchs Bild, dann schreitet Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan vorbei. Gegen Ende des Videos betreten die Helden die Hagia Sophia. Sie beten. Zum Abschluss schwenkt die Kamera auf die Al-Aksa-Moschee in Jerusalem.

Angerichtet ist der Propaganda-Eintopf Erdoğans. Das Vier-Minuten-Video des türkischen Kommunikationsamts liefert die Begleitmusik zur Mittelmeer-Krise zwischen Türken und Griechen. Der Berliner Außenminister Heiko Maas, der vermitteln möchte, sollte sich das Filmchen ansehen. Es sagt einiges über Erdoğans Verständnis von Gewicht und Rolle der Türkei. Vor allem aber legt es offen, was der daheim nicht mehr ganz so populäre Präsident seinen Bürgern suggeriert, um die nächsten Wahlen zu gewinnen: Die Türkei ist seit Hunderten Jahren eine Macht von Weltgeltung. Sie ist der Herold und der Leibgardist des Glaubens. Sie ist ein Versprechen an die Zukunft aller Türken.

Wie soll man so einem Land, so einem Staatsmann entgegentreten? So handzahm wie Maas, der zerknittert zurückkam aus Ankara? Oder doch so bullig wie der französische Staatschef Emmanuel Macron? Der stellt sich an die Seite der Griechen, schickt Fregatten, macht sich stark gegen die Türken im Bürgerkriegsland Libyen. Der Franzose mag die beeindruckendere Figur abgeben. Aber das kann nicht der Maßstab deutscher Außenpolitik sein. Paris hat in Libyen Interessen, der Konzern Total äugt auf die Rohstoffe. Macron kämpft durchaus auch gegen seine Umfragewerte. Ähnlich wie Erdoğan denkt er bei seiner Mittelmeerpolitik auch an die nächste Wahl. Nicht, dass einer wie Macron sich mit dem Mann in Ankara vergleichen lassen müsste - aber auch bei ihm ist eine gewisse Portion taktischer Opportunismus im Spiel.

Umso mehr gilt es für die Deutschen, einen entschlossenen Umgang mit Erdoğan zu finden. Der ist ein Politiker vom Naturell Wladimir Putins. Ähnlich wie dieser betrachtet er diplomatisches Nachgeben als Ausdruck von Schwäche, geht lieber voll ins Risiko, verstößt gegen alle Konventionen. Pokern, bluffen, gewinnen.

In vielen islamischen Staaten haben die Menschen wenig Erfahrung mit Demokratie und Meinungsfreiheit, sie fallen noch leichter auf Säbelrassler, Sprücheklopfer oder religiöse Zündler herein als in den USA oder neuerdings in Deutschland. Das kommt Erdoğan zugute. Auch in der Türkei - die nicht nur ein islamisches Land ist, sondern bis heute eine säkulare Republik - funktioniert das oft. Türken wird von der Schule an ein ungestümes Nationalgefühl, ein manchmal irrationaler Nationalismus eingetrichtert. Das ist unter Erdoğan nicht anders als zu Zeiten der Putschisten ab den Sechzigerjahren.

Erdoğan reichert diesen modernen türkischen Nationalismus mit den Verbeugungen vor den Osmanen an. Die Sultane haben einst Anatolien und Konstantinopel erobert, das Christenreich Byzanz bezwungen. Deshalb macht der Präsident die Hagia Sophia zur Moschee, spricht von "der Befreiung der Al-Aksa-Moschee": Seine Geschichtsbotschaft ist die Fusion aus einem globalen Muslimbruder-Islam und dem türkischem Nationalismus.

Und mit so einem Staatsmann soll man reden? Ja. Weil man es muss. Die Türkei ist für Deutschland ein wichtiger Handelspartner, aber das sei hier geschenkt. Das Flüchtlingsproblem aber lässt sich ohne Ankara einfach nicht lösen. Außerdem leben in Deutschland mehr als drei Millionen Bürger türkischer Herkunft. Die fühlen deutsch, aber zum Teil auch türkisch. Was ihr Recht ist. Ihretwegen darf man nicht einknicken. Allerdings wäre es wünschenswert, wenn auch sie die Berliner Politik gutheißen könnten.

Das alles reicht nicht? Im Kriegsfall könnten sowohl die Nato als auch die EU jede Glaubwürdigkeit verlieren. Ein bewaffneter Konflikt zwischen den Nato-Staaten Türkei und Griechenland würde das Militärbündnis infrage stellen, dann erst wäre die Nato im Macron'schen Sinne "hirntot". Auch die EU wird wegen ihrer Mitglieder Griechenland und Zypern nicht schlagartig die militärisch-außenpolitische Entschiedenheit zeigen, die sie schon seit Jahren vermissen lässt. Das absehbare Versagen von Nato und EU würde Erdoğan nur stärken. Und wäre nebenbei ein Riesenerfolg für seinen Geistesgenossen Putin.

Solange die Chance besteht, die Gegner zu Gesprächen zu bewegen, sollte Berlin sich versuchen. Mit Härte. Aber die Türken müssen auch sehen, dass sie bei Gesprächen mehr bekommen als in einem Ägäis-Krieg. Dafür muss mehr auf den Tisch als das Versprechen einer modernisierten Zollunion: Maas muss den Griechen klarmachen, dass sie sich ebenfalls bewegen müssen im Mittelmeer-Streit.

© SZ vom 03.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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