Türkei und die Kurden:Botschaft aus dem Kerker

Die Kurden-Politik steht in der Türkei ganz oben. Nun könnte ausgerechnet der inhaftierte PKK-Führer Öcalan zum Helfer für einen neuen Kurs werden.

Kai Strittmatter, Istanbul

In der Türkei wuchern viele alte Krebsgeschwüre. Ganz oben auf der Liste steht ohne Zweifel das Kurden-Problem: Die Entfremdung eines großen Teils der eigenen Bevölkerung durch Diskriminierung, Vernachlässigung und einen Bürgerkrieg, der 40.000 Menschen das Leben gekostet hat, durch Terror und Gegenterror, durch Leid und Elend.

Türkei und die Kurden: Meistgehasster Mann unter den Türken, noch immer bewundert von den Kurden: Abdullah Öcalan. (Archivbild von einer Demonstration in Berlin 2000)

Meistgehasster Mann unter den Türken, noch immer bewundert von den Kurden: Abdullah Öcalan. (Archivbild von einer Demonstration in Berlin 2000)

(Foto: Foto: dpa)

Optimismus in der Kurden-Frage ist ein rares Gut. Und doch fiel vor kurzem das Wort von der "historischen Gelegenheit" - Staatspräsident Abdullah Gül hat es gesagt.

Verblüfft nehmen Beobachter nun zur Kenntnis, dass sich einer in die Debatte einmischt, der seit zehn Jahren auf einer einsamen Insel hinter dicken Mauern in Isolationshaft sitzt: Abdullah Öcalan, Führer der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK. Meistgehasster Mann unter den Türken, noch immer bewundert von den Kurden.

Wenn die neue Hoffnung Berechtigung hat, dann auch deshalb, weil bislang Undenkbares mit einem Mal debattiert wird: Öcalan, der viel Verfluchte, könnte - wenn auch indirekt - eingebunden werden.

Gebannt warten alle auf einen "Friedensplan", den der Gefangene über seine Anwälte für Mitte August angekündigt hat. Eine Erkenntnis macht sich langsam breit: Öcalan hat Macht und Einfluss, noch immer. Nicht nur in der PKK, auch im kurdischen Volk.

Die Voraussetzungen dafür, die Spirale von Gewalt und Rache zu durchbrechen, sind günstig. Die Akteure in diesem Drama ordnen sich neu. Die Kämpfer der PKK sind ausgelaugt, signalisieren Verhandlungsbereitschaft. Gleichzeitig gehen ihre Gastgeber, die Kurden im Nordirak, und die Regierung in Ankara aufeinander zu - so freundschaftlich, wie es vor einem Jahr nicht vorstellbar gewesen wäre.

Es fallen andere Tabus: Die Regierung von Premier Tayyip Erdogan hat einen kurdischen TV-Sender gegründet und gestattet erstmals Kurdisch-Fakultäten an Universitäten und den Gebrauch des Kurdischen in Gefängnissen.

Noch gibt es unwägbare Hürden. Türkische Regierungen erweisen sich regelmäßig als Meister im Verpassen historischer Chancen. Auch bei Premier Erdogan ist noch nicht ersichtlich, ob ihm überhaupt klar ist, was der Kern des Kurden-Konflikts ist, geschweige denn, ob er eine Lösung dafür sieht.

Äußerungen wie jene, so etwas wie ethnische Diskriminierung habe es in der Türkei noch nie gegeben, wecken Zweifel. Manches deutet darauf hin, dass der Premier den größten Teil des Weges hinter sich glaubt, obwohl er nur ein paar Schritte getan hat. Die Kurden jedenfalls sehen sich gerade erst am Anfang und hegen weit größere Erwartungen.

Dann sind da die vielen Lager, die jeden Friedensprozess sabotieren können: die erznationalistische Opposition oder die mächtige Armee, mit der es noch vor kurzem eine wichtige Übereinkunft zu geben schien für mutigere Vorstöße in der Kurdenpolitik - bis andere Streitpunkte den Draht zwischen Militär und Regierung wieder erkalten ließen.

Die türkische Regierung wird viel Mut brauchen. Bislang scheute Erdogan sogar das Gespräch mit der Kurdenpartei im Parlament, der DTP, wegen ihrer Nähe zur PKK. Der Premier wird sich hüten, auch nur den Anschein zu erwecken, er lasse sich auf einen Handel mit Öcalan ein. Aber ohne DTP, ohne PKK und ohne Öcalan wird es keinen Frieden geben.

Es gibt gute Zeichen: Sogar das armeefreundliche Massenblatt Hürriyet berichtete über Öcalans geplante Initiative ohne Schaum. Und auch Abgeordnete von Erdogans eigener Partei AKP haben ausgesprochen, dass es keinen Frieden geben werde, wenn nicht noch mehr Tabus gebrochen würden. Nötig sein wird eine Amnestie auch für PKK-Führer. Der Premier hat mehrmals in den letzten Jahren Angst vor der eigenen Courage bekommen und mutige Vorstöße gestoppt. Sollte er es diesmal genauso halten, schreibt der Kolumnist Mehmet Ali Birand, es wäre "die größte Sünde, die diese Regierung jemals begangen hat".

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