Süddeutsche Zeitung

Türkei und der Syrien-Konflikt:Erdogan fürchtet die Einsamkeit

Ist Syrien so verwegen, gegen die Türkei in den Krieg zu ziehen? Oder gar gegen die Nato? Nein. Dennoch ist Ankara bedroht. Die türkische Regierung könnte verlieren, was sie stark machen sollte: den Respekt. Wenn Premier Erdogan den Konflikt nun internationalisiert, dann vor allem aus einem Grund: weil er Angst hat, mit den Folgen allein zu bleiben.

Christiane Schlötzer

Was hatte die McDonnell Douglas F-4 Phantom wirklich vor der syrischen Küste zu suchen? Wollten die türkischen Piloten die eigene Flugabwehr testen? Oder vielleicht die syrische? Um den Preis des eigenen Lebens? Der geisterhafte Flug und sein jähes Ende harren der Aufklärung. Aber die Regierung in Ankara will nicht auf die Details der Untersuchung warten. Sie sieht sich bedroht und fährt schweres politisches Geschütz auf. Die Türkei hat die Nato gebeten, sich mit dem mysteriösen Vorfall zu befassen. Dazu hat sie Artikel 4 des Nato-Vertrags bemüht. Wer dies tut, der sieht sein Territorium, seine politische Unabhängigkeit oder seine Sicherheit in Gefahr. Aber ist die Türkei wirklich in Gefahr, muss sich das Nato-Land vor einem syrischen Angriff fürchten - und somit die Nato vor dem Eintreten des Bündnisfalls, der Verteidigung eines Mitglieds?

Die Türkei ist in Gefahr, aber kaum militärisch. Die ums Überleben kämpfende Diktatur in Damaskus dürfte kaum so verwegen sein, einen Krieg mit dem hochgerüsteten Nachbarn, geschweige denn mit der Nato vom Zaun zu brechen. Das Regime von Baschar al-Assad braucht derzeit alle seine Kräfte, so zynisch das klingt, um das eigene Volk zu drangsalieren und zu töten. Trotzdem sieht sich die Türkei in Gefahr. Die Regierung von Tayyip Erdogan fürchtet zu verlieren, was sie stark machen sollte: den Respekt. Erdogan und sein Außenminister Ahmet Davutoglu sehen ihr Land als regionale Ordnungsmacht. Ihre Außenpolitik setzt auf "soft power", auf die Kraft des Klügeren, Gewiefteren, auf die Macht, die wirtschaftliche Stärke verleiht. Abschüsse von Kampfflugzeugen sind in diesem Konzept nicht vorgesehen.

Jetflüge in niedriger Höhe über das Territorium des syrischen Nachbarn aber auch nicht; die Unterstützung von Aufständischen, auch wenn sie einen Diktator bekämpfen ebenso wenig. Unter den 33.000 syrischen Flüchtlingen, die in der Türkei Zuflucht gefunden haben, befinden sich etwa ein Dutzend, teils hochrangige Ex-Generäle aus Assads Armee. Die Regierung in Ankara duldet, dass sie von türkischen Territorium aus den Widerstand gegen Assad mitorganisieren. Die USA dulden dies auch. CIA-Mitarbeiter sind in der Region unterwegs. Ein Teil des Waffennachschubs für die syrischen Rebellen soll über die Türkei laufen. Auch wenn Ankara bestreitet, mit dem Waffenschmuggel etwas zu tun zu haben - die Türkei ist längst Partei. Sie steht auf Seiten der syrischen Rebellen, und sie ist damit längst Teil des Konflikts.

Angst vor dem Krieg

So geht in der Türkei nun die Angst um vor einem möglichen Krieg. Einen solchen Krieg will die allergrößte Mehrheit der Türken nicht. So gibt es auch keine Stimmung, die nach Vergeltung schreit für den Jetabschuss. Am lautesten tönt noch der Außenminister, der eigentlich Diplomat sein sollte. Aber Davutoglu spricht schon von Kompensation, er verlangt, Syrien sollte einen Preis für den "gezielten" Angriff zahlen.

Die Wortwahl erinnert an ein Trauma der türkischen Außenpolitik: 2010 hatte israelisches Militär neun Türken auf einem privaten Hilfsschiff auf dem Weg nach Gaza getötet. Bis heute fordert die Türkei vergeblich eine Entschädigung. Zwischen der Türkei und Israel herrscht seitdem Eiszeit, was Ankara mehr schadet als Jerusalem. Der Gaza-Vorfall demonstriert damit die Machtlosigkeit einer um Einfluss heischenden türkischen Außenpolitik. "Null Probleme mit den Nachbarn", so hatte Davutoglu einst seinen außenpolitischen Anspruch beschrieben. Der Ehrgeiz ist noch nicht verflogen, aber die Ernüchterung in Ankara inzwischen beträchtlich.

Wenn die Regierung Erdogan nun ihren Konflikt mit Syrien internationalisiert, dann tut sie dies womöglich auch, weil sie fürchtet, sie könnte mit den Folgen alleine bleiben. Ankara hat sich in komplizierte Allianzen verstrickt. Ausgerechnet von Teheran erwartet sich Davvutoglu nun Unterstützung in Damaskus bei der Forderung nach "Ausgleich". Iran ist der letzte Verbündete Syriens in der Region. Auch Russland soll Ankara helfen. Aber Moskau ist auch noch ein Syrienfreund - und gleichzeitig ein enger Handelspartner der Türkei.

Um die westlichen Mächte - mit Ausnahme Amerikas - hat sich die Türkei in letzter Zeit eher wenig geschert. Das Verhältnis zu den Europäern ist seit einer Weile nicht das beste, wegen der praktisch zum Stillstand gekommenen EU-Beitrittsgespräche. Nach den Vetos aus Frankreich und Zypern gegen die Fortsetzung der Verhandlungen, die kürzlich erst aufgehoben wurden, fühlte sich die Türkei nach Osten gedrängt. Selbst das Verhältnis zwischen Ankara und der Nato litt unter der Blockade. Dass Ankara nun Beistand im Bündnis sucht, hat damit auch appellativen Charakter.

Als noch Frühlingsluft die arabischen Revolutionen durchzog, träumte die Türkei von einer Art neo-osmanischer Globalisierung mit türkischen Waren und politischem Einfluss von Bursa bis Kairo. Türkische Müsliriegel und TV-Serien gibt es inzwischen auch in Tunis, aber alle Augen richten sich trotzdem nicht auf Ankara. Die Araber schauen nach innen, auf ihre eigenen Probleme. Und die Türkei weiß, im Konflikt mit Syrien werden ihr die arabischen Brüder kaum beistehen. Da bräuchte sie schon die Nato.

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SZ vom 26.06.2012/beitz
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