Tourismus in Kriegszeiten:Türkei akzeptiert trotz Sanktionen russische Kreditkarten

Tourismus in Kriegszeiten: Türkischer Luxus: 4,7 Millionen Russen sollen 2021 in die Türkei gereist sein, etwa in dieses Urlaubsresort bei Antalya.

Türkischer Luxus: 4,7 Millionen Russen sollen 2021 in die Türkei gereist sein, etwa in dieses Urlaubsresort bei Antalya.

(Foto: Ozan Kose/AFP)

Touristen aus Russland bringen der Türkei viel Geld, und damit das so bleibt, dürfen sie mit der russischen "Mir"-Karte zahlen. Doch Ankara schickt der Ukraine auch Drohnen für den Kampf gegen Putins Armee. Wie passt das zusammen?

Von Tomas Avenarius, Istanbul

Das russische Wort "Mir" bedeutet sowohl Welt als auch Frieden. Was den Frieden angeht, ist Russlands Ruf allerdings ruiniert, und was die weite Welt angeht, so trifft das Land dort auf Vorbehalte. Womit man bei der nationalen russischen Kreditkarte "Mir" wäre, einer raffinierten Moskauer Erfindung, mit der internationale Sanktionen gekontert werden sollen, denn die weltweit gängigen US-Kreditkarten Visa und Mastercard haben sich aus Russland zurückgezogen.

Doch die Türkei, eines der wichtigsten Urlaubsziele für Russen, bereitet nun der Mir-Karte den heimischen Weg. Man will in Ankara auf die konsumfreudigen russischen Urlauber nicht verzichten, lockt sie mit der wachsenden Akzeptanz der nationalen russischen Karte bei schon drei staatlichen, landesweit agierenden Banken. Finanzminister Nureddin Nebati versicherte möglichen Besuchern: "Die Mir-Karte wird funktionieren."

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Das schmeckt nach Umgehung des Sanktionsregimes, das wegen des Angriffskriegs über Russland verhängt wurde. Aber die Türkei spielt im Ukraine-Konflikt ohnehin eine eigenwillige Rolle: Sie hat gute Beziehungen zu beiden Kriegsparteien, bemüht sich um eine Friedenslösung. Sie hat der Ukraine Drohnen geliefert, lässt aber auch ihre Fluggesellschaft Turkish Airlines Moskau oder Sankt Petersburg anfliegen. Türkische Unternehmen bemühen sich zudem offensiv, die aus Russland ausgezogenen internationalen Marken zu ersetzen und die nun leerstehenden Shopping-Malls zu erobern. Man erhofft sich vor allem im Textilbereich und in der Gastronomie gute Chancen: Sanktionsgewinner wäre ein Wort dafür.

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij hat sich den seltsamen Bundesgenossen am Beispiel der Mir-Karte nun zur Brust genommen: "Die Türkei spielt einerseits die Rolle eines Vermittlers und unterstützt die Ukraine bei wichtigen Schritten. Andererseits sehen wir, dass die Türken Vorbereitungen treffen für russische Touristen. Als Präsident sage ich: Wenn wir freundschaftliche Beziehungen haben wollen, geht das nicht."

Sonderlich klug war das nicht von Selenskij

Selenskij sprach von "Doppelmoral", die Türken "müssen eine Wahl treffen". Aber die türkische Wirtschaft ist schwer angeschlagen. Der Tourismus ist eine ihrer wichtigsten Säulen, rund ein Fünftel der Gäste sind Russen. Da Turkish Airlines das Land weiter ansteuert, wird die Türkei nun noch mehr zum russischen Urlaubsziel.

Dass Selenskij den Türken ausgerechnet über einen griechischen TV-Sender indirekt riet, die konsumfreudigen Gäste auszusperren, war unklug. Die erste Breitseite kam von einem Funktionär aus der Regierungspartei AKP. Şamil Tayyar, Mitglied des Exekutivrats, nahm kein Blatt vor den Mund: "Selenskij ärgert sich, weil die Türkei die russischen Touristen willkommen heißt? Wir schicken Drohnen, wir nehmen Tausende ukrainische Waisenkinder auf, schicken Hunderte Lkw voller Hilfsgüter und bemühen uns, Frieden zu vermitteln." Tayyar wetterte: "Und das sagt er uns im griechischen Fernsehen. Dieser dumme Comedian."

Auch der Vorsitzende der rechtsnationalistischen Quasi-Regierungspartei MHP, Devlet Bahçeli, maßregelte den ukrainischen Staatschef: "Wenn er die Haltung der Länder der Welt im Krieg zwischen der Ukraine und Russland berücksichtigt, sollte Selenskij der türkischen Nation gegenüber einen sehr respektvollen Ton anschlagen." Schließlich sei die Türkei der einzige Staat, der eine Friedenslösung mit Moskau vermitteln könne. "Es wäre besser, wenn Selenskij der türkischen Nation vertrauen würde, nicht Griechenland."

Selenskij hat sich keinen Gefallen getan: Griechenland gilt in der Türkei als Erzfeind, die Touristen aus Russland als Geldquelle. 2021 reisten laut Statistikbehörde 4,7 Millionen Russen an, seit Anfang dieses Jahres trotz Sanktionsregime immerhin schon wieder 360 000. Aber Touristen müssen zahlen können. Deshalb die Akzeptanz für die Mir-Karte.

Die Mir-Karte hat schon 100 Millionen Nutzer

Das russische Zahlungssystem war 2016 eingeführt worden. Infolge der US-Sanktionen seit der Krim-Annexion 2014 waren Visa und Mastercard in Russland nur noch begrenzt nutzbar, also baute Moskau sein eigenes System auf: Mehr als 100 Millionen Menschen sollen die Mir-Karte bereits nutzen, zum Geldabheben am Automaten, zum bargeldlosen Bezahlen.

Das Zahlungssystem gehört einer Bank der russischen Zentralbank und ist mit staatlichen Aufgaben verknüpft, an Mir sind bestimmte Zahlungen des Sozial- und Rentensystems gekoppelt. Außerhalb Russlands sind es vor allem Staaten der Moskauer Einflusssphäre, die Mir bereits akzeptieren: Belarus, Kasachstan, Tadschikistan, Armenien, Vietnam. Und, zum Ärger der ukrainischen Führung, zunehmend eben auch die Türkei.

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