Türkei:Kurdische Miliz wehrt sich gegen Schuldzuweisungen aus Ankara

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Nach dem Anschlag mit 28 Toten in Ankara bezichtigt die türkische Regierung kurdische Terroristen. Doch diese weisen die Verantwortung zurück. (Foto: dpa)
  • Mindestens 28 Menschen sind der türkischen Regierung zufolge bei einer Explosion im Regierungsviertel von Ankara getötet worden, 61 weitere wurden verletzt.
  • Der Anschlag richtete sich gegen Militärfahrzeuge.
  • Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu beschuldigte einen syrischstämmigen Flüchtling mit Verbindungen zu den kurdischen Organisationen PKK und YPG, den Anschlag ausgeführt zu haben.
  • Beide Organisationen erklärten, nicht für den Anschlag verantwortlich zu sein.

Nach dem Anschlag in der türkischen Hauptstadt Ankara sieht der türkische Premier Ahmet Davutoğlu die Verantwortung bei einer kurdischen Miliz. Der Attentäter sei ein aus Syrien eingereister Flüchtling, sagte Davutoğlu. Er gehöre der syrisch-kurdischen Miliz YPG an und habe den Anschlag mit Unterstützung der "separatistischen Terrororganisation" PKK verübt.

Auch den Namen des Attentäters nannte der Premier: Der 1992 geborene Salih Necer soll es gewesen sein, "mit Sicherheit". Davutoğlu kündigte Vergeltung an und rief die USA und andere westliche Verbündete dazu auf, die Miliz YPG als Terrororganisation einzustufen. Die YPG kämpft als Verbündete auf Seiten der USA im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat in Syrien.

Feuerwehrleute versuchen den Brand nach der Explosion in Ankara zu löschen. (Foto: Ihlas News Agency/Reuters)

"Wir können nicht länger hinnehmen, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird", sagte Davutoğlu mit Bezug auf die PKK, die von den USA und der EU als Terrororganisation geführt wird. "Wir rufen alle Länder dazu auf, klar Position gegen diese terroristischen Organisationen zu beziehen". Sie müssten entweder an der Seite der Türkei stehen, "oder sich auf die Seite der Terroristen stellen".

Kurz zuvor war am Donnerstagmorgen ein Konvoi des türkischen Militärs im Südosten des Landes angegriffen worden. Mindestens sechs Soldaten kamen dabei ums Leben. Die Explosion ereignete sich in der Provinz Diyarbakır.

PKK und syrische Kurden weisen die Verantwortung zurück

Sowohl die PKK als auch die syrischen Kurden erklärten derweil, nicht für den Anschlag von Ankara verantwortlich zu sein. Der PKK-Kommandeur Cemil Bayık sagte: "Wir wissen nicht, wer das getan hat. Es könnte aber ein Vergeltungsschlag für die Massaker in Kurdistan gewesen sein."

Ähnlich äußerte sich der Co-Vorsitzende der syrischen Kurdenpartei PYD, Salih Muslim: "Wir haben keine Verbindungen zu dem, was in der Türkei passiert." Er warf der türkischen Regierung vor, mit ihren Anschuldigungen eine "Eskalationspolitik" gegen kurdische Parteien zu betreiben. Die YPG, der der Attentäter angehört haben soll, ist der militante Arm der PYD.

Türkisches Militär greift nach Attentat Stellungen der PKK im Nordirak an

Als Reaktion auf den Anschlag hatte die türkische Luftwaffe bereits in der Nacht zum Donnerstag Angriffe auf Stellungen der PKK im Nordirak geflogen. Wie das Militär mitteilte, wurden Ziele in der Grenzregion Haftanin bombardiert. Die Armee hatte dort bis zu 70 Kämpfer im Visier.

Der jahrzehntelange Konflikt des türkischen Militärs mit der PKK ist im vergangenen Sommer wieder eskaliert, nachdem der Friedensprozess mit der türkischen Regierung gescheitert war. Seither geht die Armee im Südosten des Landes mit Härte gegen die PKK-Rebellen vor. Diese verüben ihrerseits immer wieder Anschläge auf türkische Sicherheitskräfte.

Bei der Explosion am Mittwochabend in der Hauptstadt Ankara sind der Regierung zufolge mindestens 28 Menschen getötet worden. 61 weitere seien verletzt. Am Donnerstag schwebt demnach keiner der Verwundeten mehr in Lebensgefahr. 30 Verletzte seien inzwischen aus den Krankenhäusern entlassen worden, meldete die Nachrichtenagentur DHA unter Berufung auf die Armee. 31 Menschen würden weiterhin stationär behandelt.

Sieben Staatsanwälte seien mit den Ermittlungen beauftragt worden. Inzwischen seien 14 Verdächtige festgenommen worden. Der Angriff sei sehr gut vorbereitet gewesen, sagte der stellvertretende Ministerpräsident Numan Kurtulmuş. Justizminister Bekir Bozdağ nannte die Tat bei Twitter einen "Terrorangriff". Den Angehörigen der Opfer sprach er sein Beileid aus.

Der Sprengsatz war Berichten zufolge an einer Ampel detoniert, als dort mehrere Fahrzeuge mit Armee-Angehörigen angehalten hatten. In der Nähe des Anschlagsortes war schwarzer Rauch zu sehen und ein großer Brand. Die Explosion ereignete sich etwa 300 Meter vom Hauptquartier der Streitkräfte entfernt.

Türkei
:Entsetzen in der türkischen Hauptstadt

Im Regierungsviertel von Ankara explodiert mindestens eine Bombe. Die Flammen schlagen meterhoch. Feuerwehr und Rettungskräfte sind vor Ort.

Der oberste Hörfunk- und Fernsehrat der Türkei (RTÜK) untersagte die Berichterstattung über die Explosion und berief sich auf die Gewährleistung der nationalen Sicherheit. Nur offizielle Verlautbarungen dürfen gemeldet werden. Erfahrungsgemäß setzen sich viele Journalisten über das Verbot hinweg.

Davutoğlu sagt Brüssel-Besuch ab

Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu hat seinen Besuch in Brüssel zu Gesprächen über die Flüchtlingskrise abgesagt. Davutoğlu wollte dort am Donnerstag mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem griechischen Regierungschef Alexis Tsipras zusammenkommen. Zudem sollte er an einem Mini-Gipfel des "Clubs der Willigen" mit Deutschland und anderen EU-Staaten teilnehmen - dieser wurde jedoch am Abend unter dem Eindruck der Ereignisse in Ankara gestrichen.

Der eigentliche EU-Gipfel beginnt am späten Donnerstagnachmittag. In den Gesprächen mit Davutoğlu sollte es um die Umsetzung des Aktionsplans mit der Türkei zur Reduzierung der Flüchtlingszahlen gehen.

Reaktionen auf den Anschlag

Die regierende Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) verurteilte die Tat. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan sprach den Familien der Opfer sein Beileid aus und kündigte Vergeltung an. "Die Türkei, deren lange Vergangenheit voller trauriger Erfahrungen ist, wird mit Gottes Hilfe auch über diese Angriffe hinwegkommen", hieß es in einer Erklärung. Der Kampf gegen den Terror werde noch entschlossener weitergeführt. Die Türkei werde von ihrem Recht auf Selbstverteidigung Gebrauch machen, hieß es weiter.

Kanzlerin Angela Merkel verurteilte den Anschlag "auf das Schärfste". Sie drückte den Angehörigen ihr Mitgefühl aus. "Dem türkischen Volk sage ich: Wir Deutsche teilen Ihren Schmerz", erklärte die CDU-Chefin. "Im Kampf gegen die Verantwortlichen für solche menschenverachtenden Taten stehen wir an der Seite der Türkei." Außenminister Frank-Walter Steinmeier zeigte sich "erschüttert". Sollten sich die Medienberichte bestätigen, dass es sich um einen Terroranschlag handelt, "wäre das ein neuerlicher feiger Akt der Gewalt in der Türkei".

Auch Frankreichs Präsident François Hollande verurteilte das "schändliche Attentat" und versicherte der Türkei seine Unterstützung.

Hohe Terrorgefahr in der Türkei

Die Türkei war in jüngster Zeit mehrfach Ziel von Terroranschlägen. In Ankara hatte es im Oktober einen verheerenden Anschlag auf eine Friedensdemonstration mit mehr als 100 Toten gegeben. Im Januar sprengte sich ein Selbstmordattentäter in der Nähe der Blauen Moschee in Istanbul inmitten von Touristen in die Luft und riss elf Deutsche in den Tod.

© SZ.de/dpa/dayk/jly - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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