Türkei:Trotz Visum keine Ausreise

Obwohl Dutzende syrische Flüchtlinge ein gültiges Visum für Deutschland haben, versperrt Ankara ihnen den Weg.

Von Luisa Seeling

Die Türkei lässt Dutzende syrische Flüchtlinge nicht nach Deutschland ausreisen, obwohl sie entsprechende Visa haben. Wie das Bundesinnenministerium mitteilte, konnten am vergangenen Donnerstag 30 Menschen ihren Flug nach Deutschland nicht antreten. Unklar sei bisher aber, ob diese Flüchtlinge zu einem späteren Zeitpunkt ausreisen dürfen. Bereits zuvor hätten die türkischen Behörden bei 22 Flüchtlingen mitgeteilt, "dass diese endgültig keine Ausreisegenehmigung erhalten". 292 syrische Flüchtlinge hätten seit April über das EU-Türkei-Abkommen die Reise nach Deutschland antreten dürfen.

Der im März geschlossene Flüchtlingspakt sieht eigentlich vor, dass die Türkei für jeden Flüchtling, den das Land von den Ägäis-Inseln zurücknimmt, einen anderen auf legalem Weg in die EU schickt. Bis zu 72 000 Syrer, so der Beschluss, wolle die EU über diesen "Eins-zu-eins-Mechanismus" insgesamt aufnehmen. Die Umsetzung verläuft allerdings schleppend, bisher waren es nur mehrere Hundert.

Im vergangenen Monat hatte der Spiegel berichtet, dass die Türkei vor allem hoch qualifizierte syrische Flüchtlinge an der Ausreise hindere. Stattdessen schicke das Land insbesondere Menschen mit medizinischen Problemen oder mit sehr niedrigem Bildungsstand. Diese Praxis war auf europäischer und deutscher Seite auf Verärgerung gestoßen. Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) rief die Türkei dazu auf, gut ausgebildeten Syrern wie Ingenieuren oder Ärzten nicht die Weiterreise in die EU zu verwehren.

Linken-Sprecherin wirft Präsident Erdoğan "gezielte Willkür" vor

Bei einem Treffen vorige Woche in Ankara räumten Vertreter der türkischen Migrationsbehörde (DGMM) EU-Kreisen zufolge ein, dass es die Anweisung gebe, Hochqualifizierte nicht ausreisen zu lassen. Eine offizielle Stellungnahme aus der Behörde gab es nicht. Bisher läuft das Prozedere so ab: Die türkische Migrationsbehörde wählt aus, wer im Rahmen des Flüchtlingspakts in die EU übersiedeln darf. Die Flüchtlinge durchlaufen die Prüfungen des UN-Flüchtlingshilfswerks sowie der Bundesbehörden und bekommen Visa. Zum Schluss muss die Türkei eine Ausreiseerlaubnis erteilen. Eine Hürde, an der offenbar Dutzende für Deutschland vorgesehene Flüchtlinge scheitern.

Nach Angaben des türkischen Außenministeriums werden bei der Auswahl der Flüchtlinge die sogenannten Vulnerability Criteria (Schutzlosigkeitskriterien) der UN berücksichtigt. Je schutzloser ein Flüchtling ist, desto besser sollte seine Chance auf die legale Ausreise sein. So gelten zum Beispiel unbegleitete Minderjährige, Behinderte oder Menschen mit schweren Gesundheitsproblemen als besonders schutzbedürftig.

Kritiker der türkischen Praxis monieren aber, dass bereits das Zustandekommen der Liste durch das DGMM intransparent sei. Zudem sei der Ausreisestopp ganz am Ende des Verfahrens eine Tortur für ohnehin traumatisierte Menschen. Die migrationspolitische Sprecherin der Linken, Sevim Dağdelen, warf dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan angesichts der verweigerten Ausreisegenehmigungen "gezielte Willkür" vor. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt kritisierte: "Der EU-Türkei-Deal wird von Tag zu Tag fragwürdiger."

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