Süddeutsche Zeitung

Kampf um Idlib:Harte Sanktionen gegen Moskau sind nötig

Assad und Putin wollen Erdoğan eine Lektion erteilen und den Konflikt um die syrische Provinz notfalls militärisch beenden. Europa muss jetzt mehr tun als nur zuzuschauen - denn die Türkei steht auf der richtigen Seite.

Kommentar von Paul-Anton Krüger

Sollte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan geglaubt haben, in Syrien mit einer Demonstration militärischer Stärke einen Schlagabtausch mit dem syrischen Regime von Präsident Baschar al-Assad und dessen russischen Unterstützern abwenden zu können, ist nun klar: Das funktioniert nicht. Mit dem Luftangriff auf türkische Truppen in der syrischen Provinz Idlib haben Assad und Russlands Präsident Wladimir Putin ihn herausgefordert. Sie wollen Erdoğan eine Lektion erteilen und den Konflikt notfalls militärisch beenden.

Dabei ist nachrangig, ob die syrische oder die russische Luftwaffe die Bomben auf die türkischen Soldaten abgeworfen hat. Russland kontrolliert den syrischen Luftraum, nichts geschieht dort ohne Billigung Moskaus, auch nicht die israelischen Angriffe auf iranische Ziele in Syrien. Damit ist eine gefährliche Eskalationsspirale in Gang gesetzt, ein Szenario, das die Nato stets befürchtet hat und das auch die EU mit Blick auf die Flüchtlingsfrage zu vermeiden suchte. Erdoğan möchte nun die Partner der Türkei in die Pflicht nehmen, und dem wird man sich nur schwer entziehen können.

Dabei ist der türkische Einmarsch in Syrien völkerrechtlich äußerst problematisch. Erdoğan stützt sich auf eine Vereinbarung mit Putin über die Einrichtung einer Deeskalationszone in der Region, eine Waffenruhe und türkische Militärpräsenz in Form von Beobachtungsposten. Russland hat derartige Abmachungen stets nur so lange eingehalten, wie es ihm opportun erschien. Deeskalationszonen waren nur ein Mittel, es dem geschwächten Assad-Regime zu ermöglichen, eine Rebellenenklave nach der anderen einzunehmen und nicht an mehreren Fronten gleichzeitig intensive Gefechte zu führen.

Die Türkei steht auf der richtigen Seite

Zugleich hat sich Erdoğan in Idlib mit problematischen Kräften eingelassen, die militärisch dominierenden Gruppen sind harte Islamisten, von denen manche mindestens in der Vergangenheit Verbindungen zu Terrornetzwerken wie al-Qaida gepflegt haben. Eine Trennung dieser Gruppen von anderen Aufständischen hat die Türkei nicht gewährleistet, wenn sie je die Absicht dazu hatte.

Allerdings ist Ankara der einzige Akteur, der der barbarischen Offensive des Assad-Regimes und Russlands in Idlib mehr entgegensetzt als hilflose Appelle. Die russischen und syrischen Bomben treffen Schulen, Krankenhäuser und Marktplätze. Eine Million Menschen haben sie in die Flucht getrieben - und das ist das Ziel der Angriffe. Hier wird, wie Dutzende Mal zuvor, gezielt die Zivilbevölkerung terrorisiert - was ein Kriegsverbrechen ist. Wenn Europa etwas auf seine Werte gibt, kann es nicht untätig oder neutral sein. In Idlib erfrieren Kinder, müssen Hunderttausende im Freien übernachten. Diesen Menschen muss Europas Solidarität gelten, unbenommen aller Kritik am Vorgehen der Türkei.

Gebot der Stunde ist es, viel mehr humanitäre Hilfe zu leisten als bisher. Politisch sollte Europa in Abstimmung mit den USA und arabischen Ländern den Druck auf Russland erhöhen. Nötig sind harte Sanktionen gegen Moskau. Militärisch sollten dagegen weder Nato noch EU in den Konflikt eingreifen. Aber am Ende steht die Türkei hier auf der richtigen Seite - jener der geschundenen syrischen Zivilisten - und ist der Verbündete, nicht Russland und das Assad-Regime.

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SZ vom 29.02.2020/saul
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