Türkei:"Inshallah werden wir siegen"

  • In der Nacht zu Donnerstag sind türkische Truppen in Nordsyrien einmarschiert.
  • Fast die gesamte politische Opposition in der Türkei unterstützt die Invasion, der die Regierung von Recep Tayyip Erdoğan den Namen "Friedensquelle" gegeben hat.
  • Wer das Vorgehen der Regierung kritisiert, muss mit Ermittlungen wegen "Terrorpropaganda" rechnen.

Von Christiane Schlötzer, Istanbul, und Paul-Anton Krüger

Die Sonne ist noch nicht aufgegangen, da beten sie in allen 90 000 Moscheen der Türkei schon die Fetih-Sure: "Die Armeen des Himmels und der Erde gehorchen Allah." "Fetih" heißt Eroberung, es ist eine lange Koran-Sure, auch die Zeile kommt darin vor: Allah "vergibt, wem er will, er bestraft, wen er will". Die staatliche Religionsbehörde hat das landesweite Gebet für Donnerstagmorgen verordnet, weshalb die linke Webseite Sol spottet: "Auch die Religionsbehörde ist im Krieg."

In der Nacht davor sind türkische Truppen in Nordsyrien einmarschiert, und fast die gesamte politische Opposition in der Türkei unterstützt die Invasion, der die Regierung von Recep Tayyip Erdoğan den Namen "Friedensquelle" gegeben hat. Selbst linke Tageszeitungen stimmen in den nationalen Taumel ein. "Die Verräter wurden zu Rauch", titelt Sözcü, sonst ein Blatt, das kein gutes Haar an der Regierung lässt.

Nur wenige wagen Widerspruch. Gegen 78 Türken, die in sozialen Medien die Operation kritisierten, gibt es sofort Ermittlungen wegen "Terrorpropaganda", so berichtet das Webportal Diken. Kurz darauf wird der verantwortliche Chefredakteur von Diken, Fatih Gökhan Diler, festgenommen.

Auch gegen die beiden Vorsitzenden der legalen prokurdischen Partei HDP, Pervin Buldan und Sezai Temelli, ermittelt schon der Generalstaatsanwalt. Der Vorwurf lautete ebenfalls: "Propaganda für eine Terrororganisation". Weil Temelli sagte, mit Erdoğan komme die Türkei nirgendwohin, nur in den Krieg, dem Land drohe gesellschaftlicher Zerfall. Die HDP ist die drittgrößte Partei im Parlament.

Şivan Perver, einer der bekanntesten kurdischen Sänger, schreit sich in einem Video seine Wut auf den Krieg von der Seele: "Warum tut ihr das, warum greift ihr uns an?" Er wird dafür im Netz genauso wütend und emotional beschimpft. Es gibt auch Kurden, die hier gegen die kurdische PKK wettern, sie wie die Regierung eine "Terrororganisation" nennen, genauso wie die syrische YPG. Die türkischen Kurden sind gespalten, viele sind konservativ, sie haben Erdoğans AKP gewählt.

So wird der Krieg auch als Medienkrieg geführt, wobei die großen regierungsnahen Sender eindeutig das Feld beherrschen. Ihre Journalisten haben sich in einigermaßen sicherem Abstand zur Grenze positioniert und kommentieren die Bilder, die das Militär liefert, auch wenn es zeitweise ganz schwarz wird auf dem Bildschirm. Am Mittwochabend wurde der Strom in der Grenzregion gekappt. Nur der Feuerschein auf der anderen Seite der Grenze ist zu sehen, wo türkische Geschosse eingeschlagen sind. Von "181 vernichteten Zielen" spricht das Militär am Morgen.

Eine Stunde redet Erdoğan zur besten Mittagssendezeit

Den Kriegsbeginn hatte Erdoğan persönlich verkündet. Der Präsident, flankiert von zwei türkischen Fahnen, saß an einem Schreibtisch, vor sich ein Tablet, und man hörte, wie er die Generäle grüßt. Die Presseabteilung des Palasts verbreitete das Bild. Am Donnerstagmittag tritt Erdoğan dann erneut auf, nun auf einer Parteiversammlung in Ankara. "109 Terroristen" seien bereits getötet worden, sagt er. Zu zivilen Opfern sagt er nur, für den Tod von zwei christlichen Assyrern im syrischen Qamischlo sei nicht die Türkei verantwortlich. "Ihr wart das", sagt Erdoğan, womit er die kurdischen Kämpfer meint. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit Sitz in Großbritannien berichtet von acht Zivilisten, die durch türkische Angriffe ums Leben gekommen seien, darunter die zwei Assyrer.

Eine Stunde redet Erdoğan zur besten Mittagssendezeit, es ist ein politischer Rundumschlag. Er warnt die Europäer, sie sollten die Militäroperation nicht als "Besatzung" bezeichnen, sonst "werden wir die Türen öffnen". Damit wiederholt er Drohungen aus jüngster Zeit, Flüchtlinge ungehindert nach Europa reisen zu lassen. Schon seit Monaten kommen viel mehr Migranten auf griechischen Inseln an. Innenminister Horst Seehofer war deshalb gerade erst in Ankara und Athen. Er versprach, sich bei der neuen EU-Kommission für mehr Finanzhilfe für die Türkei einzusetzen. Das scheint in Ankara schon vergessen zu sein. "Sie waren niemals ehrlich", schimpft Erdoğan auf die Europäer, der Präsident ist im Kampfmodus.

Am Donnerstag bleiben die Schulen in den türkischen Grenzstädten geschlossen. Mörsergranaten schlagen in Ceylanpınar, Nusaybin und Akçakale ein, abgefeuert aus Syrien. Am Nachmittag melden die Behörden vier Tote und 70 Verletzte. Das türkische Fernsehen zeigt Rauchfahnen und Militärfahrzeuge, die in langen Schlangen durch menschenleere Straßen rollen. Am Abend zuvor waren sie in Akçakale auch mit Lautsprecherwagen herumgefahren, es erschallte erst historische osmanische, dann türkische Marschmusik.

In den ersten Stunden der Offensive griff die Armee mit Kampfflugzeugen und Artillerie die Städte Kobanê, Tel Abjad, Ras al-Ain und Qamischlo an. Sie liegen - verteilt über 270 Kilometer - direkt an der Grenze und zählen zu den Bevölkerungszentren der kurdisch kontrollierten Gebiete. Qamischlo hat etwa 200 000 Einwohner, es ist die Hauptstadt des bislang de facto autonomen Gebiets in Nordsyrien. Nach Angaben des türkischen Militärs drangen Kampfjets bis zu 30 Kilometer tief in den syrischen Luftraum ein. 30 Kilometer weit soll auch die "Sicherheitszone" reichen, die Ankara sich auf syrischem Gebiet wünscht. Als Nächstes sollen offenbar Bodentruppen Kobanê, Tel Abjad und Ras al-Ain belagern und die kurdischen Milizen zum Abzug zwingen. Die Kurden haben allerdings seit Monaten Tunnel und Befestigungsanlagen angelegt. Spätestens nachdem US-Präsident Donald Trump im Dezember 2018 den Abzug der US-Truppen zum ersten Mal angekündigte, war ihnen klar, dass die jetzige Situation früher oder später eintreten würde.

Ziel der Offensive sei es, die parallel zur Grenze verlaufende Fernstraße M 4 unter Kontrolle zu bringen, zitiert die amtliche Agentur Anadolu Militärquellen. Die Straße führt von Aleppo bis zur irakischen Grenze und weiter nach Mossul. In den Fokus könnten auch die Städte Manbij und Qamischlo geraten. In deren Nähe stehen von Russland unterstützte Einheiten des Regimes von Baschar al-Assad. Die YPG hat Moskau bereits aufgerufen, Gespräche mit Damaskus zu vermitteln. Sollte es dazu kommen, ist auch eine Allianz zwischen dem Regime und den Kurden denkbar - einer solchen erteilte Syriens stellvertretender Außenminister Faisal Makdad am Donnerstag jedoch eine Absage. Die Kurden hätten das Land verraten, wollten sich von Syrien abspalten. Damit hätten sie der Türkei einen Vorwand für den Angriff geliefert.

Der Feuerkraft der türkischen Armee, der zweitgrößten der Nato, dürften die Kurden auf Dauer kaum widerstehen. Empfindliche Verluste könnten sie der überlegenen Streitmacht dennoch zufügen. Noch im vergangenen Jahr hatten sie Ausbildung und Ausrüstung für etwa eine halbe Milliarde Dollar von den USA erhalten. Die Syrischen Demokratischen Kräfte, deren größtes Kontingent die kurdischen YPG-Milizen stellen, verfügen neben leichten Waffen auch über Panzerabwehrraketen und Luftabwehrraketen, die auch Hubschraubern gefährlich werden können.

In sozialen Medien werden Fotos von türkischen Soldaten verbreitet, auf den Knien und in Gebetshaltung. Noch vor Jahren undenkbar, da wurden Offiziere entlassen, weil deren Frauen Kopftuch trugen. "Inshallah werden wir siegen", sagte Erdoğan bei der Parteiversammlung. Aus den Reihen ertönte drei Mal "Amin".

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