Nato-Beitritt:Tauwetter zwischen Finnland, Schweden und der Türkei

US-Außenminister Antony Blinken macht sich gemeinsam mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Çavuşoğlu vom Hubschrauber aus ein Bild von den Folgen des Erdbebens in der Türkei.

US-Außenminister Tony Blinken macht sich gemeinsam mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Çavuşoğlu vom Hubschrauber aus ein Bild von den Folgen des Erdbebens in der Türkei.

(Foto: Clodagh Kilcoyne/AFP)

Die Türkei hat sich dem Nato-Beitritt von Schweden und Finnland in den Weg gestellt - etwas Druck aus den USA und Erdbebenhilfe aus dem Norden scheinen nun zu helfen, wo die Diplomatie versagt hat.

Von Alex Rühle, Stockholm

Neun Monate lang hieß es aus Stockholm und Helsinki, man werde diesen Weg gemeinsam gehen. Nun könnte es doch einen Alleingang geben: Das finnische Parlament wird am kommenden Dienstag über die Gesetze abstimmen, die von finnischer Seite für eine Nato-Mitgliedschaft benötigt werden.

Die meisten Parteien haben angekündigt zuzustimmen. Dann fehlt nur noch die Unterschrift des finnischen Präsidenten Sauli Niinistö. Der sagte am Mittwoch, er hoffe weiterhin, man werde "Hand in Hand mit den schwedischen Freunden" der Nato beitreten, ergänzte aber, wie es weitergehe, liege nicht mehr in seiner Macht.

Was er damit meinte: Am Ende entscheidet der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan darüber, ob Schweden und Finnland im Juli, beim nächsten Nato-Gipfel in Vilnius, als vollwertige Mitglieder mit am Tisch sitzen werden. Erdoğan hatte sich gegen eine Aufnahme der beiden Länder verwahrt, weil diese in seinen Augen Terrororganisationen unterstützen.

Der Wunsch nach Kampfflugzeugen aus den USA lässt die Türkei offenbar einknicken

Erdoğan ist nun aber seinerseits plötzlich auf Hilfe angewiesen, und so kann es sein, dass ein Erdbeben im Osten der Türkei die tektonischen Verschiebungen in der nordeuropäischen Bündnispolitik am Ende mehr beeinflusst als alle vorangehende Diplomatie und Politik.

Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu hatte Helsinki Ende vergangener Woche informiert, dass Finnland nun alle Punkte erfüllt habe, die in einem trilateralen Memorandum zwischen Finnland, Schweden und der Türkei im vergangenen Sommer ausgehandelt worden waren. Zu dem Anlass schimpfte Çavuşoğlu noch, Schweden tue weiterhin zu wenig gegen die Finanzierung und Propaganda von Terror.

Am Montag bekam Çavuşoğlu dann Besuch von seinem amerikanischen Kollegen Tony Blinken, der sich einen Überblick verschaffen wollte über die Zerstörungen durch die beiden Erdbeben vom 6. Februar. Blinken kündigte an, dass die US-Regierung die Katastrophenhilfe für die Türkei und Syrien auf insgesamt 185 Millionen Dollar anheben werde.

Nebenbei wies er darauf hin, dass wegen des türkischen Vetos gegen die Nato-Norderweiterung im US-Kongress der Widerstand gegen die von Ankara gewünschte Lieferung von Kampfflugzeugen des Typs F-16 wachse. Direkt im Anschluss an Blinkens Besuch sagte der türkische Außenminister, dass es an der Zeit sei, die Gespräche mit Stockholm wieder aufzunehmen.

Am Dienstag empfing dann der türkische Botschafter Yönet Can Tezel in seiner Stockholmer Residenz überraschend einige schwedische Soldaten und Rettungskräfte, um für die schwedische Erdbebenhilfe zu danken. Schweden hatte kurz hintereinander zwei Hilfspakete geschnürt, Suchtrupps entsandt und 30 Millionen Kronen (rund 2,7 Millionen Euro) bereitgestellt.

Tezel schwärmte von den hervorragenden schwedisch-türkischen Beziehungen, die ja nur momentan etwas eingetrübt seien, und gab einen interessanten eigenen Einblick in die türkische Seele. Die Türken seien mit einem "mediterranen Temperament" ausgestattet: "Wir sind von aufbrausendem Gemüt und tragen unser Herz auf der Außenseite unseres Körpers. Aber das bedeutet auch, dass es leicht ist, wieder in unser Herz zu gelangen."

In Schweden sind Koranverbrennungen jetzt verboten - vorerst

Tezels Worte wie die Einladung in die Botschaft sind deshalb so interessant, weil vor ebendiesem Gebäude der schwedisch-dänische Rechtsextreme Rasmus Paludan die Hoffnungen der Schweden auf einen baldigen Beitritt im Januar hatte in Flammen aufgehen lassen. Paludan hatte einen Koran verbrannt und behauptet, er mache das, um die Meinungsfreiheit zu verteidigen. Der schwedische Ministerpräsident Ulf Kristersson sagte danach sinngemäß, er fände Paludans Aktion völlig daneben, sie sei aber prinzipiell gedeckt durch die Meinungsfreiheit. Daraufhin hatte Erdoğan angekündigt, man werde die Gespräche mit Schweden abbrechen.

Nachdem nun der schwedische Staatsschutz schrieb, dass sich die generelle Bedrohungslage für Schweden seit Paludans Aktion deutlich verschlechtert habe, beschloss die Rechtsabteilung der Polizei Ende vergangener Woche, dass Koranverbrennungen in Schweden nicht mehr erlaubt sein sollen. Ob dieser polizeiliche Beschluss, der durch kein Gesetz gedeckt wird, dauerhaft Bestand hat, ist fraglich, fürs Erste wurden aber zwei weitere Koranverbrennungen unterbunden.

Vielleicht kann sich nun also auch Schweden noch Hoffnung machen auf eine baldige Ratifizierung durch die Türkei. Wobei die Zeit drängt, schließlich soll in der Türkei gewählt werden, voraussichtlich am 14. Mai. Im Moment finden aufgrund des Erdbebens keine Parlamentssitzungen in Ankara statt, nach bisherigem Stand wird das Parlament seine Arbeit am 1. März wieder aufnehmen.

Es bliebe dann nur noch ein kleines Zeitfenster für eine Entscheidung - am 10. März wird das Parlament wohl wieder für den Wahlkampf geschlossen. Allerdings ist mittlerweile ungewiss, ob die Wahl überhaupt stattfindet oder um ein Jahr verschoben wird.

Auch in Finnland drängt aber mittlerweile die Zeit: Präsident Niinistö sagte am Mittwoch, er müsse die neuen Gesetze auf jeden Fall noch vor den finnischen Wahlen unterschreiben. Finnland wählt am 2. April ein neues Parlament.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte am Donnerstag, er sehe Fortschritte in den Gesprächen mit der Türkei. Er peile Schwedens und Finnlands Beitritt bis zum Nato-Gipfel im Juli an.

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