Türkei:Schröder vermittelte im Fall Steudtner

  • Mitten im Wahlkampf trifft sich Kanzlerin Merkel mit ihrem Vorgänger. Er reist in die Türkei, um mit Erdoğan über das Schicksal deutscher Inhaftierter zu sprechen.
  • Anders als Merkel verbindet Schröder eine politische Freundschaft mit dem türkischen Präsidenten.
  • Schröder spricht zwei Stunden lang mit Erdoğan - und berichtet danach der Kanzlerin.

Von Nico Fried, Berlin

Am Freitag, den 1. September 2017, empfängt Angela Merkel einen Gast, der sich im Kanzleramt bestens auskennt: Gerhard Schröder. Der Vorgänger bespricht mit der Kanzlerin eine schwierige Mission: Es geht um die deutschen Staatsbürger in türkischen Gefängnissen. Es ist - mitten im Wahlkampf - eine überparteiliche Zusammenarbeit der besonderen Art.

Die Idee, Schröder um Hilfe zu bitten, stammt von Außenminister Sigmar Gabriel. Er hat zur Kenntnis genommen, dass erfahrene Diplomaten Sanktionen gegen die Türkei zwar für richtig halten, aber auch die Einrichtung eines Gesprächskanals fordern. "Back Channel" hat das zum Beispiel der Chef der Münchener Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, einige Tage vorher in einem Facebook-Eintrag genannt. Das ist auch die Haltung im Kanzleramt.

Am Tag der offenen Tür der Bundesregierung Ende August macht Gabriel bereits eine interessante Andeutung. Es ist die Zeit, in der Schröder wegen seines Engagements beim russischen Ölkonzern Rosneft massiv in der Kritik steht - wahlkampfbedingt nicht zuletzt von Seiten der Union. Gabriel wird darauf von einem Bürger in einer öffentlichen Pressekonferenz angesprochen und antwortet: Wenn es darum gehe, für die Freilassung deutscher Soldaten in der Ukraine zu vermitteln, sei Schröder willkommen, für sein Engagement bei Rosneft aber werde er kritisiert. Gabriel nimmt damit Bezug auf Schröders mutmaßliche Vermittlung zur Freilassung von Mitgliedern einer OSZE-Mission in der Ostukraine vor drei Jahren. Die Vermutung liegt nahe, dass Gabriel am Tag seines Auftritts in der Pressekonferenz schon mit dem Gedanken gespielt hat, Schröder um Unterstützung zu bitten.

Schröder und den türkischen Präsidenten Erdoğan verbindet eine politische Freundschaft, nicht ganz so eng wie die Schröders zu Putin, aber belastbar. Als Kanzler hat der Sozialdemokrat gemeinsam mit Frankreichs Präsident Jacques Chirac die Aufnahme von EU-Beitrittsgesprächen durchgesetzt. Merkel war immer gegen den Beitritt der Türkei, zeigte sich innerhalb der EU aber vertragstreu. In der Flüchtlingskrise war das EU-Türkei-Abkommen maßgeblich ihre Erfindung. Doch das politische und persönliche Verhältnis zu Erdoğan wurde immer schlechter, der Präsident erinnerte sich wehmütig an Schröder, lobte ihn einmal sinngemäß als letzten vernünftigen deutschen Politiker.

Gabriel fragt Schröder, der ist bereit, einen Gesprächsversuch mit Erdoğan zu unternehmen. Er will aber auch die Zustimmung Merkels. Schröder und Merkel vereinbaren ein Treffen im Kanzleramt. So kommt es zur Begegnung am 1. September.

Merkel und Schröder verbindet seit Jahren ein ambivalentes, aber respektvolles Verhältnis. Sie stehen gelegentlich in Kontakt, immer vertraulich. Öffentlich changiert man zwischen Annäherung und Abgrenzung. Merkel hat eine Biografie über Schröder präsentiert. Beim Thema Russland trennen die beiden Welten. Wenige Tage vor der Begegnung im Kanzleramt hat Schröder in einem Interview Versäumnisse Merkels in der Diesel-Krise kritisiert und mediale Kritik an seinem Rosneft-Engagement als Wahlkampfhilfe für die Kanzlerin bezeichnet. Merkel stimmt der Türkei-Mission trotzdem zu.

Doch die Sache ist reich an weiteren Verwicklungen. Zwei Tage später treffen im TV-Duell Merkel und ihr Herausforderer Martin Schulz aufeinander. Schulz überrascht die Kanzlerin mit der Forderung, die Beitrittsverhandlungen abzubrechen. Merkel laviert, ein bisschen dafür, ein bisschen dagegen. Aber sie betont vor allem, dass man die diplomatischen Kontakte nicht abbrechen dürfe, wenn man die deutschen Staatsbürger unterstützen wolle. Sie will keine Eskalation, vermutlich auch wegen Schröders Mission. Und darin ist sie sich mit Gabriel einig. Aber weiß Schulz nichts von Gabriels Idee?

Später im TV-Duell kommt die Rede noch auf Schröders Rosneft-Posten. Merkel sagt, sie finde das falsch. Der Vermittler wird nicht geschont.

In den Tagen um die Bundestagswahl fliegt Schröder in die Türkei. Niemand bekommt davon etwas mit. Ein langer Wahlkampf geht zu Ende, und der Altkanzler macht Schlagzeilen nur wegen einer neuen Lebensgefährtin. Aber auf dieser Reise trifft er auch Erdoğan. Gut zwei Stunden soll das Gespräch gedauert haben, auch weil Erdoğan viel Zeit darauf verwendete, das Verhalten der Bundesregierung gegenüber der Türkei zu beklagen.

Am Donnerstag nach der Wahl sitzt Schröder wieder bei Merkel im Kanzleramt und berichtet. Details nicht bekannt. Der türkische Außenminister signalisiert via Spiegel, man sei an einer Verbesserung der Beziehung zu Deutschland interessiert. Kurz darauf nimmt der Fall Peter Steudtner Fahrt auf.

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