Süddeutsche Zeitung

Türkei:Rückendeckung von Erdoğan

Lesezeit: 1 min

Der Präsident stützt einen hohen Kleriker, der mit homo-phoben Aussagen Empörung ausgelöst hat.

Von Tomas Avenarius, Istanbul

Nachdem der Chef der türkischen Religionsbehörde Homosexuelle als islamfeindliche Ketzer bezeichnet und bei Bürgerrechtlern Empörung ausgelöst hat, erhält er Rückendeckung von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan. Diyanet-Chef Ali Erbaş hatte bei einer Ramadan-Predigt gesagt, Ehebruch und Homosexualität verursachten Krankheiten wie Aids und lösten Degenerationen aus. Der Kleriker, der in der Türkei die höchste religiöse Autorität des sunnitischen Islam ist, sagte, der Islam verfluche Homosexualität: "Lasst uns zusammen handeln, um die Menschen vor diesem Bösen zu schützen."

Da die türkische Religionsbehörde Diyanet eng mit dem größten deutschen Moscheenverband Ditib verknüpft ist, könnten die homophoben Äußerungen des Klerikers nicht nur für die Türkei Bedeutung haben. Dort löste Erbaş bereits Empörung aus. Die Anwaltskammer Ankara sowie eine türkische Menschenrechtsorganisation zeigten den Kleriker wegen Homophobie und Volksverhetzung an. Die Anwaltsvertretung forderte, Erbaş seines Postens zu entheben. Es sei zu befürchten, dass der Kleriker demnächst auch noch zu Hexenverbrennungen aufrufe.

Wenige Tage später schaltete sich Präsident Erdoğan persönlich ein. Was der Diyanet-Chef als oberste religiöse Autorität des Landes sage, sei für türkische Muslime verpflichtend: "Was er sagte, ist vollkommen richtig." Religiöse Fragen lägen in der Hand des Diyanet und nicht in der von Rechtsanwaltsverbänden. Ein Angriff auf den Vorsitzenden des Amtes für religiöse Angelegenheiten sei ein Angriff auf den Staat, so Erdoğan weiter. Zuvor hatte die Staatsanwaltschaft bereits Ermittlungen gegen die Anwaltskammer eingeleitet, weil die Juristenvertretung "die religiösen Gefühle des Volkes" verletzt hätten.

Diyanet ist die höchste religiöse Institution der Türkei und untersteht direkt dem Staatspräsidenten. Indirekt nimmt Diyanet aber auch Einfluss auf einen Teil der türkischen Muslimgemeinde in Deutschland: Obwohl Diyanet und der türkische Moscheeverein Ditib offiziell nicht miteinander verknüpft sind, stammt ein guter Teil der Ditib-Mitarbeiter aus Diyanet-Strukturen. Führende Vertreter sind Diyanet-Mitarbeiter oder andere türkische Staatsbeamte, der Diyanet-Chef ist Ehrenpräsident des Ditib.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4891407
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 29.04.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.