Türkei und PKKDer lange Weg zum Frieden

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Kurdische Demonstranten in Diyarakir, einer Stadt im Osten der Türkei, halten ein Bild von Abdullah Öcalan hoch. Sie fordern seine Freilassung.
Kurdische Demonstranten in Diyarakir, einer Stadt im Osten der Türkei, halten ein Bild von Abdullah Öcalan hoch. Sie fordern seine Freilassung. (Foto: Sertac Kayar/REUTERS)

Nach der Botschaft von Abdullah Öcalan hat die PKK-Miliz einen Waffenstillstand verkündet. Allerdings fordert sie im Gegenzug dessen Freiheit – das lehnt die Türkei ab. Geht es um einen Friedensvertrag oder um eine Kapitulation?

Von Raphael Geiger

Der erste Schritt ist getan, jetzt geht es zwischen der türkischen Regierung und der PKK-Miliz darum, wie der Frieden aussehen wird. Die Führung der PKK, der verbotenen „Arbeiterpartei Kurdistans“, schloss sich am Wochenende dem Aufruf Abdullah Öcalans an, ihres inhaftierten Gründers. Der hatte am Donnerstag eine Botschaft verlesen lassen, wonach für die PKK der bewaffnete Kampf nach vier Jahrzehnten zu Ende sei. „Alle Gruppen müssen die Waffen niederlegen“, so Öcalan. „Die PKK muss sich auflösen.“

Am Samstag fügten sich die Kader der Organisation, die sich in den irakischen Kandil-Bergen versteckt halten. In der Türkei geht man davon aus, dass Öcalans Botschaft schon vorher mit ihnen abgestimmt worden war, insofern kam der Schritt nicht überraschend: Man halte sich an einen „ab heute gültigen Waffenstillstand“, hieß es in einer PKK-nahen Nachrichtenagentur. Man wolle im Sinne des Aufrufs von Öcalan den Weg „zu Frieden und einer demokratischen Gesellschaft ebnen“. Solange die Türkei sie nicht angreife, werde die PKK von Attacken absehen.

Es ist nicht das erste Mal, dass die PKK einen Waffenstillstand verkündet, das letzte Mal tat sie es erst vor zwei Jahren, nach dem großen Erdbeben in der Türkei im Februar 2023. Im Sommer dann kündigte sie ihn wieder auf. Im Sommer 2015 ging eine längere Friedensphase zu Ende, sie hatte über zwei Jahre lang gehalten – dann scheiterte der damalige Friedensprozess.

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Erdoğans Vision ist „eine terrorfreie Türkei“

Diesmal stehen die Chancen besser, dass der Konflikt wirklich endet. Öcalans Aufruf dürfte auf die Kämpfer seiner Organisation eine hohe Wirkung haben. Um den 75-Jährigen, der ein Drittel seines Lebens in Isolationshaft auf der Gefängnisinsel İmralı verbracht hat, gibt es nicht nur innerhalb der PKK einen Kult. Auch viele zivile Kurdinnen und Kurden verehren ihn. Seine Autorität, den Kampf beenden zu können, kommt immerhin daher, dass er selbst ihn begonnen hat.

Dazu hat sich in der Türkei die Lage verändert. Anders als vor 2015 muss Präsident Recep Tayyip Erdoğan innenpolitisch kaum mit Widerstand rechnen. Die ultranationalistische MHP unter Devlet Bahçeli war damals noch in der Opposition, heute regiert sie zusammen mit Erdoğan. Bahçeli übernahm in dem Friedensprozess, der jetzt beginnt, sogar die Initiative – mutmaßlich, weil Erdoğan ihm diese Rolle zugewiesen hatte. Der Präsident selbst spricht jetzt von einer „neuen Phase“ für sein Land, seine Vision sei „eine terrorfreie Türkei“.

Der Frieden also hat inzwischen auf beiden Seiten mächtige Fürsprecher. Angesichts dessen, dass Erdoğan die türkische Opposition noch vor Kurzem für jeden Dialog mit den Kurden der Nähe zur PKK beschuldigt hat, ist die Dynamik enorm. Mit Bahçeli und Öcalan versöhnen sich zwei Männer, die sich ihr Leben lang nichts anderes als den Tod gewünscht haben.

Was bedeutet das Abkommen für die syrischen Kurden?

Noch allerdings sind viele Fragen offen. Zum Beispiel, wie das Abgeben der Waffen konkret aussehen soll. Und vor allem, was die Türkei im Gegenzug anbietet: Kommen kurdische Gefangene aus den türkischen Gefängnissen frei? Können Menschen kurdischer Abstammung, die ins Ausland fliehen mussten, in die Türkei zurückkehren? Das jedenfalls erwarten viele Kurdinnen und Kurden. Dabei hat die türkische Justiz erst in den vergangenen Wochen wieder kurdische Journalistinnen, Aktivisten und Politiker verhaften lassen. Selahattin Demirtaş, der wahrscheinlich populärste kurdische Politiker im Land, seit 2016 in Haft, begrüßte aus der Zelle heraus zwar die Chance auf ein Ende des Konflikts. „Dauerhafter Frieden kann aber nur entstehen“, schrieb er, „wenn die Gesellschaft dem Prozess vertraut.“ Das täte sie wohl eher, wenn Demirtaş freikäme.

Aus Sicht der türkischen Regierung, die sich militärisch als Siegerin fühlt, ist klar, wie es weitergehen soll. Als Erstes müsse jetzt die PKK ihrem Versprechen nachkommen und sich entwaffnen, erst danach soll der politische Prozess in Ankara beginnen. Die PKK dagegen erwähnt in ihrer Waffenstillstandsnachricht eine Bedingung, die Präsident Erdoğan ausgeschlossen hat. Öcalan müsse „unter freien Bedingungen leben und arbeiten können“, heißt es. Erdoğan hatte vor wenigen Worten wissen lassen, für den „Babykiller“ werde es keine Begnadigung geben, niemals werde er freikommen.

Unklar ist auch, was Öcalans Botschaft für die syrischen Kurden bedeutet. Dort, in Syrien, bombardiert die türkische Armee fast täglich die „Demokratischen Kräfte Syriens“ (SDF), in denen sie einen Ableger der PKK sieht. Die SDF beherrschen nach wie vor den Norden und Osten von Syrien. Die Türkei verlangt, dass auch die SDF ihre Waffen abgeben. Mazloum Abdi, ihr oberster General, verhandelt aktuell mit der neuen syrischen Zentralregierung über ein Abkommen, das die Zukunft des Landes regeln soll.

Auch Abdi sieht in Öcalan den Anführer der kurdischen Bewegung, auch er hat dessen Aufruf begrüßt. Dass die SDF-Truppen sich auflösen, erscheint aber schwer vorstellbar. Abdi will sie stattdessen in die syrische Armee integrieren, wie genau, darüber ist er sich mit den Machthabern in Damaskus noch uneins – und damit auch mit der Türkei, deren wichtigster Unterstützerin. In der Türkei wie in Syrien stehen komplizierte Verhandlungen an.

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