Süddeutsche Zeitung

Peter Steudtner:"Ich möchte die andere Türkei kennenlernen"

Menschenrechtsaktivist Peter Steudtner saß wegen Terrorvorwürfen 113 Tage in türkischer Haft. Heute wird das Urteil im Prozess gegen ihn erwartet. Er erzählt, was ihm im Gefängnis Hoffnung gab - und warum er in das Land zurückkehren möchte.

Interview von Deniz Aykanat

Am 5. Juli 2017 wurde der Menschenrechtsaktivist Peter Steudtner auf Büyükada, einer Insel vor Istanbul, bei einem Seminar festgenommen. Türkische Menschenrechtsaktivisten, unter ihnen Mitarbeiter von Amnesty International, Anwälte, Frauenrechtlerinnen, hatten sich dort zu einem Workshop zusammengefunden, in dem es um IT-Sicherheit und Stressabbau ging. Die Anklage machte daraus: Unterstützung mehrerer Terrororganisationen. Peter Steudtner und andere, darunter der Türkei-Chef von Amnesty International, Taner Kılıç, wurden inhaftiert. Als Beweise dienen der Staatsanwaltschaft beispielsweise Handreichungen, wie man sicher per Mail kommuniziert, oder sich widersprechende Zeugenaussagen. Etwa drei Monate später kam Steudtner unter Vermittlung von Altkanzler Gerhard Schröder frei, ohne Auflagen. Er kehrte umgehend nach Deutschland zurück. Sein Prozess ging indes weiter. Für Mittwoch war ein Urteil erwartet worden, doch wurde der Prozess am Nachmittag auf Anfang April vertagt. Das Interview hatten wir vorher geführt.

Interview am Morgen

Diese Interview-Reihe widmet sich aktuellen Themen und erscheint von Montag bis Freitag spätestens um 7.30 Uhr auf SZ.de. Alle Interviews hier.

SZ: Am Dienstag machte sich große Freude und Erleichterung breit über den Freispruch Osman Kavalas, einem Kunstmäzen, der eng mit dem Goethe-Institut zusammenarbeitete. Doch schon wenige Stunden später wurde seine Freilassung wegen neuer Vorwürfe gestoppt. Wie haben Sie diese Entwicklung aufgenommen?

Peter Steudtner: Ich bin wütend und traurig und schicke Solidaritätsbotschaften an seine Familie und sein Anwaltsteam. Außerdem erinnert es mich an unser Verfahren. Während diesem wurde der Menschenrechtler Taner Kılıç Ende Januar 2018 ja auch auf Anweisung des Gerichts freigelassen und dann noch vor den Toren des Gefängnisses erneut auf Anweisung der Staatsanwaltschaft festgenommen. Das ist psychische Folter.

Heute wird in Ihrem Prozess ein Urteil erwartet, im schlimmsten Fall drohen Ihnen 15 Jahre Haft. Sie werden nicht vor Ort in Istanbul sein, sondern verfolgen die Entwicklungen von Berlin aus. Waren Sie seit Ihrer Entlassung aus der Haft im Oktober 2017 wieder in der Türkei?

Nein. Bei meinem Prozess herrscht für mich keine Anwesenheitspflicht. Wenn eine Haftstrafe droht, so wie das bei mir der Fall ist, dann sollte man nicht in Reichweite einer zum Teil unrechtmäßig agierenden Justiz sein. In die Türkei zu reisen, wäre im Moment aus Sicherheitsgründen bedenklich.

Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft gegen Sie lautet "Unterstützung mehrerer bewaffneter Terrororganisationen". Ihr Prozess dauert nun schon mehr als zweieinhalb Jahre an. Wie wirkt sich das auf Ihre Arbeit als Menschenrechtsaktivist aus?

Ich gebe Trainings und Seminare zum Umgang mit Stress und Trauma oder Datensicherheit sowie Gewaltfreiheit, bin aber derzeit nicht auf bestimmte Länder spezialisiert, wie ich das vorher im Rahmen bestimmter Projekte war. Damit niemand unter Verdacht gerät, wenn er mit jemandem zusammenarbeitet, der unter Terrorismusverdacht steht. Zumal die Anklage in der Türkei das Reisen für mich sehr erschwert. Bei manchen Ländern kann ich ja nicht sicher sein, ob die mich nicht an die Türkei ausliefern. In den letzten Jahren bin ich nur im westlichen Europa gereist. Mein ökologischer Fußabdruck ist im Moment also ziemlich gut. Das ist der Rucksack, den man mit sich herumträgt, wenn man sich für Menschenrechte engagiert. Aber ich bin ohnehin hier in Deutschland im Gegensatz zu Menschenrechtsverteidigerinnen in der Türkei privilegiert.

Wie ist es mit dem emotionalen Gepäck? Sie saßen nach Ihrer Verhaftung im Juli 2017 113 Tage in Gewahrsam und Untersuchungshaft. Wie haben Sie diese Zeit verarbeitet?

Einer meiner Kollegen und Unterstützer hat allein während dieser 113 Tage 112 Menschenrechtsverletzungen dokumentiert: Von Freiheitsberaubung, Schikanen bis zu Einschränkungen bei der Kommunikation und der Aufnahme unserer Anwaltsbesuche auf Video. Das ist natürlich nicht zu vergleichen mit physischer Folter. Aber wenn so was über so einen langen Zeitraum immer wieder geschieht, ist es sehr zermürbend.

Was hat Ihnen in dieser Zeit geholfen, nicht die Hoffnung zu verlieren?

Die Solidarität unter den Mitgefangenen, der menschliche Umgang untereinander. Das Gefühl, dass man auf jeden Fall etwas tun kann. Wir haben jongliert, Workshops abgehalten, uns die Zeit vertrieben. Auch das Mitgefühl und die Unterstützung der Menschen außerhalb des Gefängnisses haben mir sehr geholfen. Ich habe nach meiner Freilassung alle Botschaften, Briefe und Videos abgetippt und auf ein Seil drucken und daraus eine Hängematte knüpfen lassen. In die kann man sich reinlegen: Ein Leben in Solidarität. Hängematten-Solidarität habe ich dieses Kunstprojekt genannt.

Wie geht es für Sie nach dem Prozesstag heute weiter?

Ich hoffe, dass es heute zu Ende gehen wird. Damit wäre dieses Damoklesschwert, das seit Jahren über uns hängt, beseitigt. Wenn wir freigesprochen werden, liegt trotzdem noch einige Arbeit vor uns. Werde ich auf Entschädigung klagen? Macht es Sinn, die türkische Justiz wegen Menschenrechtsverletzungen zu belangen, um Präzedenzfälle zu schaffen? Und falls ich doch zu einer Haftstrafe verurteilt werde, gehen wir natürlich in Revision. So oder so, wir müssen mehr Aufmerksamkeit schaffen. Die Bundesregierung muss Druck ausüben. Die Einhaltung der Menschenrechte muss immer das führende Kriterium bei allen Länderbeziehungen sein, auch den wirtschaftlichen. Von Waffenexporten ganz zu schweigen. Das wäre ohnehin das Minimum, dass man solche Exporte stoppt, bei einer Menschenrechtslage wie wir sie in der Türkei vorfinden.

Wollen Sie jemals wieder in dieses Land reisen?

Lieber heute als morgen. Ich möchte all die Menschen treffen, die mit mir, mit uns, solidarisch waren. Ich möchte die andere Seite der Türkei kennenlernen.

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