Die Panzerkolonnen, die in diesen Tagen in die osttürkische Provinz Sirnak rollen, verheißen nichts Gutes. Die türkische Streitmacht sammelt ihre Kräfte an der Grenze zum Irak für einen Schlag gegen Kämpfer der separatistischen Kurdischen Arbeiterpartei PKK. Die haben ihre Stützpunkte im Zweistromland.
Das Militär hat vom Parlament für ein Jahr die Vollmacht bekommen für Operationen im Nordirak - womöglich mit Kriegsgerät, das aus Deutschland geliefert wurde. Die zahlreichen Fotos der Truppenverlegungen zeigen auch Schützenpanzer, die jedem Ostdeutschen, der in der Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR Dienst tun musste, wohl bekannt sind.
"Da sind BTR-60", sagt Hans-Christian Reiche, der letzte Chef der Landstreitkräfte der DDR, im Gespräch mit sueddeutsche.de. Der frühere Generalmajor kann zwar den Typ, nicht aber die NVA-spezifischen Merkmale, wie etwa spezielle Leuchten, erkennen. Mehrere Dutzend dieser Schützenpanzer hatten auch die Russen an die Türkei geliefert.
Kriegsgerät für den Nato-Außenposten
Den Großteil erhielt Ankara jedoch aus den Beständen der aufgelösten DDR-Truppe. Anfang der neunziger Jahre wies die Bundesregierung unter Kanzler Helmut Kohl die Lieferung von 300 Schützenpanzerwagen an. Eine stattliche Anzahl, doch das war nur ein kleiner Teil des gewaltigen Rüstungstransfers zwischen der Bundesrepublik und der Türkei.
Seit 1964 lieferte Westdeutschland Waffen, schließlich galt es, die Türkei als Bollwerk des Westens an der Südflanke der Sowjets gut auszustatten. Die Bonner Regierungen verschickten im Laufe der Jahre allerlei Kriegsgerät - meist überschüssiges und ausgesondertes Material - im Wert von mehr als sechs Milliarden Mark an den Außenposten der Nato.
Allein nach der Wiedervereinigung waren es mehr als 200 Panzer des Typs Leopard 1 und 13 Phantom-Kampfjets aus Westdeutschland. Nachdem die NVA in der Bundeswehr aufgegangen war, fand man in der Türkei einen dankbaren Abnehmer für das Material der DDR-Streitkräfte: Deutschland lieferte mehr als eine Viertelmillion Kalaschnikows plus 100 Millionen Patronen, Tausende Panzerfäuste, Maschinengewehre und sonstige Ausrüstung aus NVA-Beständen wie zum Beispiel Zelte.
Als Saddam Husseins Truppen 1991 aus Kuwait hinausgekämpft wurden, hielt sich die Bundesregierung aus dem Krieg am Golf heraus - dank einer Scheckbuch-Diplomatie. Die Türkei, der nervöse Nachbar im Norden, erhielt in dieser Phase zur Beruhigung eine weitere militärische Aufmerksamkeit aus Bonn. Die Bundeswehr lieferte die besagten Schützenpanzer aus NVA-Beständen an die Türkei, insgesamt 300 Fahrzeuge vom Typ BTR-60 aus russischer Produktion - samt 60 Millionen Schuss Munition.
Ein klarer Verstoß gegen die Spielregeln
1995 endete die Militärhilfe, da die Sowjetunion zerfallen war. Inzwischen hatte das Thema auch in der öffentlichen Wahrnehmung an Brisanz gewonnen. 1993 waren brisante Fotos veröffentlicht worden. Sie zeigten die Leiche eines kurdischen Kämpfers, der an einem BTR-Schützenpanzer über eine Straße geschleift wurde. Immer wieder gab es Berichte, wonach die Türkei aus Deutschland erhaltene Waffen gegen Kurden einsetzt - ein klarer Verstoß gegen die Spielregeln.
Denn Grundlage für alle Rüstungstransfers zwischen Deutschland und der Türkei waren bilaterale Abkommen und vor allem der Nato-Vertrag - aus dem hervorgeht, dass gelieferte Rüstungsgüter nur zur Landesverteidigung eingesetzt werden dürfen.
Die offensichtliche Missachtung der Auflage brachte die Bundesregierung in Erklärungsnot. Deshalb behalf man sich damit, die drückenden Indizien als nicht beweiskräftig genug zu erklären. Eine Sprachregelung, die noch heute gilt.
Die türkischen Generäle schätzen Waffen made in Germany. Man wollte modernstes Kriegsgerät, am liebsten den Leopard-2-Kampfpanzer. 1999 führte das Gezerre um den angefragten Export der Stahlkolosse in die Türkei zu einer schweren Krise in der rot-grünen Koalition.
Die Grünen setzten sich durch, die " Leos" wurden nicht geliefert. Doch der Panzer-Deal kam in den letzten rot-grünen Tagen doch noch zustande. Anfang November 2005 bestätigte das Berliner Verteidigungsministerium, man habe mit der Türkei einen Vertrag über den Kauf von 298 überschüssigen Leopard-2 unterzeichnet.
Die Lage in Ostanatolien hatte sich inzwischen entspannt. Türkische Geheimdienstagenten hatten den PKK-Chef Abdullah Öcalan festgenommen, der befürchtete Bürgerkrieg blieb aus.
Ministerien mauern
Der zuvor in seiner Wortwahl nicht zimperliche Öcalan forderte als Gefangener plötzlich Frieden und Dialog. Daraufhin zog sich die PKK zurück, setzte den bewaffneten Kampf aus und forderte keinen eigenen Staat mehr. Inzwischen gestand Ankara den Kurden ein Minimum an kultureller Freiheit zu, wie etwa Radiosendungen in kurdischer Sprache.
Nunmehr jedoch haben sich die Zeiten wieder geändert: Öcalans Anhänger wollen erneut die Eigenstaatlichkeit und haben den einseitigen Waffenstillstand aufgekündigt.
Mehrere gezielte PKK-Anschläge in der türkisch-irakischen Grenzregion haben die Regierung in Ankara herausgefordert. Die Konsequenz ist der aktuelle Truppenaufmarsch mit den bereiften BTR-60, die möglicherweise eine Gabe der Kohl-Regierung waren.
Wenn dem so wäre, handele es sich um "Beihilfe zur Spannungsverschärfung mit Zeitverzug", sagt Winfried Nachtwei zu sueddeutsche.de. Der sicherheitspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag befasste sich bereits in den neunziger Jahren mit den ausgemusterten DDR-Schützenpanzern. Nun will Nachtwei bei der Bundesregierung wegen der Panzer nachhaken.
Bislang mauern die offiziellen Stellen: Das Bundesverteidigungsministerium verweist zunächst ans Auswärtige Amt. Das Auswärtige Amt kann auch nach mehrfacher Anfrage von sueddeutsche.de keine Stellungnahme abgeben und verweist schließlich wieder ans Verteidigungsministerium. Dort erklärte ein Sprecher schließlich, die Bundesregierung habe keine Beweise für einen vertragswidrigen Einsatz der Panzer durch die Türkei in der Vergangenheit. Man werde den aktuellen Hinweisen "aktiv nachgehen".
Das Büro des Ständigen Vertreters der Bundesrepublik bei der Nato teilt mit, die Panzer wären bislang kein Thema in Brüssel gewesen. Mehr könnte man wohl direkt beim Bündnis erfahren.
Doch auch Nato-Sprecher James Appathurai möchte sich zu der heiklen Causa nicht äußern. Er empfiehlt sueddeutsche.de einen anderen Ansprechpartner - das türkische Verteidigungsministerium.
Bislang hat Ankara noch nicht geantwortet.