Süddeutsche Zeitung

Türkei:Langer Arm und harte Hand - Wie Erdoğan auf Interpol setzt

  • Die Türkei strapaziert die Beziehungen zu Interpol.
  • Der Fall Doğan Akhanlı ist das zweite Mal diesen Monat, dass die Türkei Interpol nutzt, um einen türkischstämmigen Schriftsteller festnehmen zu lassen.
  • In deutschen Sicherheitskreisen heißt es, alle türkischen Hilfeersuchen würden seit geraumer Zeit einer strengeren Prüfung unterzogen.

Von Mike Szymanski, Istanbul

Es ist nicht das erste Mal, dass sich der türkische Staat bei der Verfolgung seiner Gegner im Ausland und jener, die er dafür hält, der Hilfe von Interpol bedient. Wie jetzt im Fall des deutsch-türkischen Schriftstellers Doğan Akhanlı wurde Anfang des Monats - ebenfalls in Spanien - der schwedische Schriftsteller und Regierungskritiker Hamza Yalçın wegen eines türkischen Haftbefehls festgenommen. Ebenfalls lag via Interpol eine sogenannte Red Notice vor, ein Vermerk, der die spanischen Beamten veranlasste, gegen den Mann bei der Passkontrolle am Flughafen vorzugehen.

60 000 Namen haben die türkischen Behörden kürzlich zur Fahndung ausgeschrieben

In beiden Fällen ist deshalb zwar noch lange nicht über eine Auslieferung an die Türkei entschieden. Aber die Botschaft, die Ankara offenbar mit ihrem Vorgehen senden will, scheint, wie ein Experte aus dem deutschen Sicherheitsapparat der SZ sagte, unmissverständlich zu sein: Unser Arm reicht weit. Die Debatte, inwieweit die internationale Polizeiorganisation Interpol Staatspräsident Erdoğan womöglich noch behilflich ist, gegen seine Kritiker vorzugehen, hat Grünen-Chef Cem Özdemir unlängst eröffnet. Er sagte: "Gegner des türkischen Regimes dürfen in Europa künftig nicht ungeprüft als Kriminelle verhaftet werden." Die Partei die Linke im Bundestag wollte schon Anfang des Jahres von der Regierung in einer Anfrage wissen, inwieweit sich Interpol Instrumentalisierungsversuchen widersetze. In ihrer Antwort stellte sie fest: Das Generalsekretariat von Interpol unterziehe solche Fahndungsersuchen "generell einer Prüfung auf etwaige Verstöße gegen die Regularien". Angesichts der jüngsten beiden Festnahmen dürfte Artikel 3 der Statuten besondere Bedeutung zufallen. Darin heißt es, jegliche Betätigung oder Mitwirkung in Fragen oder Angelegenheiten politischen, militärischen, religiösen oder rassischen Charakters sei Interpol untersagt. Im Falle der Schriftsteller steht laut dem Sicherheitsexperten zumindest die Frage im Raum, ob nicht vielmehr ein politisch motivierter Hintergrund anzunehmen sei. Schließlich gehörten Massenverhaftungen seit dem gescheiterten Putschversuch vor einem Jahr quasi zum Alltag - fast immer geht es, wie bei den beiden Festgenommen in Spanien auch - um den Terrorvorwurf.

Die türkischen Behörden strapazieren die Zusammenarbeit mit Interpol längst aufs äußerste. Vor einigen Monaten hatten sie im großen Umfang Reisedokumente von angeblichen Unterstützern des islamischen Predigers Fethullah Gülen, den Ankara für den Putschversuch verantwortlich macht, im Interpol-System zur Fahndung eingestellt. Eine türkische Zeitung berichtete von 60 000 Namen. Interpol forderte Ankara auf, dies zu unterlassen. Daten wurden wieder gelöscht. Ebenfalls über Interpol hatte Ankara Auskünfte über 700 deutsche Firmen einholen wollen, die sie verdächtigt, Terror zu unterstützten. Die Regierung in Ankara zog die Liste jedoch wieder zurück, sprach von einem "Kommunikationsproblem". Zuvor hatte Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) eine Neuausrichtung der Türkei-Politik mit einer härteren Gangart angekündigt. In deutschen Sicherheitskreisen heißt es, alle türkischen Hilfeersuchen würden seit geraumer Zeit einer strengeren Prüfung unterzogen. Die Regierung unter Erdoğan lässt offenkundig nichts unversucht, um an ihre Kritiker heranzukommen. Sie wählte quasi den kleinen Dienstweg, als der türkische Geheimdienstchef Hakan Fidan am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz BND-Chef Bruno Kahl eine Liste mit echten und vermeintlichen Anhängern von Gülen überreichte: mehr als 300 Leute, zudem mehr als 200 Vereine, Schulen und andere Einrichtungen in Deutschland. Das Dokument mit all seinen Details warf dann aber die Frage auf, inwieweit der türkische Staat auf deutschem Boden spitzelt.

Aktuelles Lexikon: Red Notice

Bei Interpol geht es bunt zu. Die Internationale Kriminalpolizeiliche Organisation, gegründet 1923 als weltweites Netzwerk der Kriminalitätsbekämpfung, hat derzeit 190 Mitgliedstaaten. Zur weltweiten Suche nach Personen und Gegenständen hat man ein Farbsystem für Fahndungen und Ausschreibungen (Notices) etabliert. Ganz oben auf der siebenfarbigen Skala stehen die Red Notices. Mit roter Farbe gekennzeichnet sind Ersuchen von Mitgliedsstaaten an Interpol um eine Festnahme von Personen mit dem Ziel der Auslieferung. Die Ersuchen basieren auf einem nationalen Haftbefehl. Interpol stellt die Ersuchen ohne weitere Prüfung in seine Datenbank - und damit allen Polizeibehörden weltweit zur Verfügung. Es handelt sich dabei nicht um einen internationalen Haftbefehl oder einen anderen rechtsverbindlichen Akt. Laut Interpol entscheiden die Länder selbst, wie sie mit einer Red Notice umgehen. Kein Land kann also gezwungen werden, aufgrund dieser Fahndung einen Menschen festzunehmen. Beim Bundeskriminalamt wird daher auch betont, eine Interpol-Ausschreibung sei "keine Rechtsgrundlage für Exekutivmaßnahmen". Im BKA werde daher jede Fahndung geprüft und entschieden, ob diese mit deutschem Recht vereinbar ist. Ohne eine Reform dieses Systems mache sich Interpol "zum Büttel der Feinde des Rechts", mahnen Kritiker angesichts des Falles Doğan Akhanlı. Robert Probst

Von einigen Hundert Geheimdienstmitarbeitern in Deutschland ist unter Experten die Rede, hinzu komme eine unbekannte Zahl an Informationszuträgern. Als "engmaschig" bezeichnet der deutsche Sicherheitsexperte das System. Hinzu komme ein von türkischer Seite befeuertes Denunziantentum - es genüge heute schon der Hinweis eines verärgerten Nachbarn, um auf Terrorlisten zu geraten. In den vergangenen Wochen häuften sich Berichte von Auslandstürken, die an Flughäfen in der Türkei nicht ins Land gelassen wurden. Manche von ihnen wurden vor der Passkontrolle abgefangen - als wären sie erwartet worden.

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SZ vom 21.08.2017/bemo
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