Türkei-Kritik:DDR?

Schäuble setzt die Provokation, die das Auswärtige Amt vermeidet.

Von Detlef Esslinger

Erdoğan hat die Deutschen neulich mit Nazis verglichen, also vergleichen sie ihn nun mit Honecker? Diese Parallele ist zumindest nicht so abgedroschen wie die andere; Finanzminister Wolfgang Schäuble hat zu den willkürlichen Verhaftungen gesagt, das erinnere ihn daran, wie es früher in der DDR war. "Wer dort gereist ist, dem war klar: Wenn dir jetzt etwas passiert, kann dir keiner helfen."

Vergleiche sind ein kalkuliertes Foul und oft deshalb heikel, weil sie den Blick verstellen auf das, was eine gegenwärtige Situation von einer früheren unterscheidet. In der DDR wusste jeder, in welche Gefahr er sich begibt, wenn man Opposition machte oder sich mit Oppositionellen traf. In der Türkei werden derzeit Menschen eingesperrt, die nicht vermuten konnten, in welche Gefahr sie zum Beispiel ein Seminar zu IT-Sicherheit bringen würde. Für manche DDR-Häftlinge konnte die Bundesregierung einst etwas tun: indem sie sie gegen Geld freikaufte. Erdoğan hingegen nimmt kein Geld, er will Menschen - in dem Fall türkische Ex-Offiziere, die in Deutschland Asyl suchen, für deren Beteiligung am Putsch er aber keine Beweise vorlegt. Nur dann würde er seine Gefangenen freigeben. So gesehen darf sich dieser Herrscher nun gerne überlegen, ob ein DDR-Vergleich ihm oder aber Honecker Unrecht tut.

Wohingegen sich Schäuble der Frage zuwenden mag, warum er in heikler Lage jene Provokation setzt, die das Auswärtige Amt so sorgsam vermeidet.

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