Türkei-Konflikt:"Wir wollen Europa nicht verlieren"

Hatice Karahan

Hatice Karahan ist Erdoğans Wirtschaftsberaterin. Sie wirbt für eine Fortsetzung der "Wirtschaftsdiplomatie" zwischen der Türkei und der EU.

(Foto: oh)
  • Erst vor kurzem engagierte Erdoğan die 38-Jährige als Chefberaterin für Wirtschaftsfragen.
  • Seitdem gehört Hatice Karahan zu den wenigen kritischen Stimmen, die regelmäßig Kontakt zu Erdoğan haben.
  • Karahan sagt, sie glaube weiter an die Kraft der "Wirtschaftsdiplomatie" zwischen der Türkei und der Europäischen Union.

Von Mike Szymanski

Man könnte meinen, der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan hat nicht viel übrig für Karrierefrauen. Von ihm stammt der Ausspruch, Familie zu haben, Kinder großzuziehen, das sei für Frauen Karriere genug. Auf Hatice Karahan wollte er aber trotzdem nicht verzichten. Vor ein paar Wochen holte er die 38 Jahre alte Mutter von zwei Kindern als Chefberaterin für Wirtschaftsfragen zu sich in seinen Präsidentenpalast. Seitdem fällt ihr die Aufgabe zu, in der aufs Äußerste strapazierten Beziehung zwischen der Türkei und der Europäischen Union zu retten, was zu retten ist.

Wenn es politisch zwischen der Türkei und der EU nicht gut lief, konnten sich beide Seiten bisher sicher sein, dass das gegenseitige wirtschaftliche Interesse zusammenschweißt. Karahan sagt, sie glaube weiter an die Kraft der "Wirtschaftsdiplomatie". Deshalb sei sie sicher, dass es nicht zum endgültigen Bruch mit der EU komme. Gehe es mit dem EU-Beitritt nicht voran, sollten sich die Europäische Union und die Türkei auf die Vertiefung der Zollunion konzentrieren. Das ist ihr Plan B.

Hatice Karahan gehört zu den wenigen, die noch regelmäßig Erdoğans Aufmerksamkeit bekommen. Bisweilen einmal die Woche, manchmal häufiger sitze sie mit dem Präsidenten zusammen; dann wolle er ihre Meinung hören, erzählt sie. Er sei offen für Kritik. Was die Beziehung zur EU angeht, erlebe sie ihren Chef aber als "sehr enttäuscht". Zumindest sie sagt: "Wir wollen Europa nicht verlieren." Und: Europa wolle aber auch die Türkei nicht verlieren.

Wer Erdoğans andere Berater kennt - Männer, die sich damit brüsten, dass sie den Präsidenten mit Waffengewalt verteidigen würden, Leute, die mehr als Verstärker denn als Berater tätig sind -, kann nur über das leise, überlegte Auftreten der Ökonomin staunen. Karahan verteidigt zwar auch die türkische Politik, bezeichnet die Verhaftungen von Deutschen als "spezielle Fälle", die nicht geeignet seien, so ein hartes Gesamturteil über ihr Land zu fällen. Sie lässt aber im persönlichen Gespräch Kritik zu. Selbst das ist schon selten geworden in Erdoğans engstem Umfeld, das sich bis hin zur täglichen Sakko-Auswahl und der Schnurrbart-Mode dem Chef anpasst.

Karahan, hohe Hackenschuhe und Kopftuch, ist wichtig für die Außenwirkung der Partei. Seine Wahlerfolge hat Erdoğan vor allem Frauen zu verdanken. Karahan sagt, ihre Personalie zeige, wie sehr Erdoğan Karrieren von Frauen fördere. Mit seinem Ausspruch habe er wohl betonen wollen, den Wunsch nach Familie nicht zugunsten der Karriere aufzugeben. Sie verfolgt Politik über die Türkei hinaus: Würden im deutschen Wahlkampf nicht gerade alle Parteien mit Familienpolitik werben?

Karahan studierte an der renommierten Boğaziçi-Universität in Istanbul, ihre Doktorarbeit schrieb sie dann in den USA, forschte an der Universität Syracuse. Als sie zurückkehrte, gab sie ihr Wissen als Dozentin für Makroökonomie weiter und arbeitete als Beraterin. Jetzt sucht Erdoğan ihren Rat.

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