TürkeiHunderttausende Menschen protestieren in Istanbul - schwedischer Journalist verhaftet

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Anhänger skandieren Slogans und schwenken türkische und CHP-Parteifahnen.
Anhänger skandieren Slogans und schwenken türkische und CHP-Parteifahnen. (Foto: Francisco Seco/Francisco Seco/AP/dpa)

Die Proteste gegen die Inhaftierung von Istanbuls Ex-Bürgermeister Ekrem İmamoğlu gehen weiter – auch die Festnahmen von Kritikern und Journalisten. Nun trifft es einen schwedischen Reporter.

In Istanbul sind an diesem Samstag Hunderttausende Menschen gegen die Inhaftierung des Bürgermeisters Ekrem İmamoğlu auf die Straße gegangen. Damit setzte sich die Serie von Protesten gegen die Haft des wichtigsten Rivalen von Präsident Recep Tayyip Erdoğan fort, die inzwischen die größten ihrer Art seit mehr als zehn Jahren sind. Die Demonstranten schwenkten türkische Flaggen und Transparente bei der Kundgebung am Meer im Stadtteil Maltepe. Unter ihrem Jubel wurde ein Brief von İmamoğlu vorgelesen. „Ich habe keine Angst, ihr steht hinter mir und an meiner Seite“, hieß es darin. „Ich habe keine Angst, weil die Nation vereint ist. Die Nation ist vereint gegen den Unterdrücker.“

Die Kundgebung unter dem Motto „Freiheit für İmamoğlu“ wurde von der wichtigsten Oppositionspartei CHP organisiert. Deren Vorsitzender Özgür Özel erklärte, Millionen Türken forderten inzwischen İmamoğlus Freilassung sowie Wahlen. Er sagte in seiner Rede, İmamoğlu sei in Haft, weil er sich dem „Diktator“ widersetzt habe. Die Vorwürfe gegen den Bürgermeister seien haltlos und politisch motiviert. Die CHP rief zum Boykott von Medien, Marken und Geschäften auf, die sie als Unterstützer von Erdoğan einstuft.

An der friedlichen Demonstration nahm auch İmamoğlus Familie teil. Seine Frau Dilek sagte der Menge: „Die Gerechtigkeit kann nicht verboten werden, das Gewissen kann nicht eingesperrt werden. Das ist erst der Anfang. Wir werden weiter kämpfen!“

Dilek İmamoğlu bei ihrer Rede in Istanbul.
Dilek İmamoğlu bei ihrer Rede in Istanbul. (Foto: Chris McGrath/Getty Images)

Unterdessen wurde bekannt, dass ein schwedischer Journalist wegen Terrorvorwürfen festgenommen wurde. Die Behörden beschuldigen ihn der Mitgliedschaft in einer bewaffneten terroristischen Organisation sowie der Beleidigung von Erdoğan. Das berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu. Kaj Joakim Medin, der für die schwedische Tageszeitung Dagens ETC arbeitet, war kurz nach seiner Landung in Istanbul am Donnerstag festgenommen worden, wie die Zeitung zunächst berichtete. Später wurde er offiziell verhaftet, nachdem er per Videokonferenz vor einem Gericht in Ankara erschienen war, berichtete Anadolu am Freitagabend weiter.

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Özgür Özel galt als dröger Technokrat. Doch nun, nach der Festnahme des populären Ekrem İmamoğlu, hat der CHP-Chef dank der Massenproteste seine Rolle gefunden.  Und könnte selbst bei der Präsidentenwahl antreten.

SZ PlusVon Raphael Geiger

Medin wurde Anadolu zufolge im Rahmen einer laufenden Ermittlung der türkischen Behörden zu einer Demonstration 2023 in Stockholm festgenommen, bei der ein Bildnis von Erdoğan an der Außenseite des Rathauses aufgehängt wurde. Anadolu zitierte zudem Behörden, wonach der Schwede in den sozialen Medien Propaganda für die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK verbreitet haben soll.

Verbände und NGOs kritisieren die Verhaftung scharf

Die Behörden beriefen sich auch auf Medins Berichterstattung aus Konfliktgebieten in Syrien, der PKK-Hochburg im Irak und dem Südosten der Türkei zwischen 2014 und 2017. Der Chefredakteur von Medins Zeitung, Andreas Gustavsson, schrieb auf der Plattform X: „Ich weiß, dass die Anschuldigungen falsch sind. Hundertprozentig falsch.“ In seiner Zeitung schreibt Gustavsson außerdem, sein Mitarbeiter sei nicht mal über die Vorwürfe gegen ihn informiert worden.

Die schwedische Dependance von Amnesty International kritisiert das Vorgehen der türkischen Behörden scharf. Kritik kommt auch vom Deutschen Journalisten-Verband. DJV-Bundesvorsitzender Mika Beuster sagte, willkürliche Verhaftungen türkischer Journalisten seien zur traurigen Routine geworden. „Die Inhaftierung von ausländischen Korrespondenten markiert eine neue Eskalationsstufe und verdeutlicht die Nervosität des Präsidenten.“

Nächste Präsidentenwahl ist 2028 vorgesehen

Seit İmamoğlus Festnahme in der Türkei in der vergangenen Woche und seiner anschließenden Inhaftierung bis zu einem Prozess wegen Korruptionsvorwürfen sind landesweit Hunderttausende Menschen auf die Straße gegangen.

Die Demonstrationen verliefen meist friedlich. Laut türkischem Innenministerium wurden seit Beginn der Proteste dennoch fast 1900 Menschen festgenommen, unter ihnen mehrere Journalisten. Am Donnerstag etwa wurde ein BBC-Reporter nach seiner Festnahme aus der Türkei abgeschoben. Er hatte sich nach Angaben des britischen Senders mehrere Tage im Land aufgehalten, um über die Proteste zu berichten. Der Polizei werden vonseiten der Opposition Foltervorwürfe gemacht. In einer ersten Anklageschrift fordert die Istanbuler Staatsanwaltschaft bis zu drei Jahre Haft für 74 der Demonstranten wegen der Teilnahme an verbotenen Versammlungen, wie der Staatssender TRT berichtet.

Eigentlich ist in der Türkei die nächste Präsidentenwahl für das Jahr 2028 vorgesehen. Die Opposition hat jedoch erklärt, die Regierung habe ihre Legitimität verloren und müsse sich früher dem Volk stellen. Die Regierung weist ihrerseits jeglichen Einfluss auf die Justiz zurück. Erdoğan hat die Proteste als „Show“ abgetan, vor rechtlichen Konsequenzen gewarnt und die CHP aufgefordert, die Türken nicht weiter zu provozieren.

© SZ/dpa/Reuters/zaa/dta - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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