Türkei:Eine Bombe mit politischer Sprengkraft

Türkei: Polizisten sperren eine Straße nach einem Anschlag in Istanbul

Nach dem Anschlag sperren Polizisten die sonst sehr belebte İstiklal Caddesi im Istanbuler Stadtteil Beyoğlu.

(Foto: Onur Dogman/Imago)

Nach dem tödlichen Anschlag in Istanbuls Innenstadt präsentiert die Regierung eine Hauptverdächtige - und beschuldigt eine in Syrien aktive Kurdenmiliz, für das Attentat verantwortlich zu sein. Das bringt auch die USA in ein Dilemma.

Von Tomas Avenarius

Nach dem Terroranschlag in Istanbul beschuldigt die türkische Regierung nicht nur die kurdische Terrorgruppe PKK, sondern erhebt auch Vorwürfe gegen die USA. Innenminister Süleyman Soylu machte die in Syrien aktive Kurdenorganisation PYD/YPG für den Anschlag mit sechs Toten und mehr als 80 Verletzten verantwortlich; die PYD/YPG ist ein direkter Ableger der militanten türkischen Kurdengruppe PKK.

Zugleich wies der für die innere Sicherheit verantwortliche Minister Soylu alle Beileidsbekundungen von Seiten Washingtons brüsk zurück: "Wir nehmen die Kondolenzwünsche des amerikanischen Botschafters nicht an, wir weisen sie zurück." Die USA seien schließlich mit der PYD/YPG offiziell verbündet. Beileidswünsche seien so, als ob "die Mörder an den Ort des Verbrechens zurückkehren".

Eine junge Syrerin soll die Tat gestanden haben

Im seit Jahren laufenden "Krieg gegen den Terror" und vor allem gegen den "Islamischen Staat" (IS) kämpfen US-Truppen in Syrien seit Langem an der Seite der syrischen Kurden-Organisation und beliefern diese auch mit modernen Waffen; die syrischen Kurden gelten im Kampf gegen den IS als besonders schlagkräftig. Obwohl sich bisher weder die PKK noch die PYD/YPG zu der Tat bekannt haben und die PKK selbst jede Verantwortung in einem der pro-kurdischen Agentur ANF zugesandten Schreiben zurückwies, verweisen die ersten Spuren des Terroranschlags angeblich wirklich auf die PYD/YPG.

Als Haupttatverdächtige präsentierte die Polizei eine junge Syrerin, die von einer Überwachungskamera am Tatort gefilmt worden sein und dort eine Tasche unter einer Sitzbank abgestellt haben soll. Die 23-Jährige wurde bereits wenige Stunden nach der Explosion in Istanbul festgenommen und soll die Tat und die Verbindung zur PYD/YPG gestanden haben. Zudem nahm die Polizei neben der Syrerin laut der US-Agentur Bloomberg mehr als 40 weitere Personen fest.

Die Türkei verlangt von der Nato eine Abkehr von den kurdischen Gruppen

Bei dem Sprengsatz soll es sich um eine mit TNT gefüllte Paketbombe gehandelt haben, die in einer Tragetasche versteckt und von der Frau unter einer Sitzbank auf der Istanbuler Flaniermeile İstiklal Caddesi abgestellt worden sein soll. Videoaufnahmen zufolge entfernte sich die Syrerin dann von der Bank. Zwei Minuten später kam es zur Explosion in der von großen Menschenmengen frequentierten Fußgängerzone. Ein Video, das auf Twitter zu sehen war, zeigt einen grellen Blitz und einen Feuerball sowie Menschen, die in der Fußgängerzone panisch schreiend auseinanderlaufen.

Während die türkische PKK nicht nur in der Türkei, sondern auch in der EU und in den USA als Terrorgruppe gebrandmarkt ist, gilt die PYD/YPG nur den Türken als eine terroristische Organisation. Ankara bemüht sich seit Langem, dass Amerikaner und Europäer die PYD-Partei und ihre Miliz YPG ebenfalls als Terrorgruppen kennzeichnen. Der Konflikt flammte offen auf, als Ankara den Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands vor einigen Monaten zu blockieren begann und sein Ja für den Beitritt der beiden Staaten von einer eindeutigen Haltung der Finnen und Schweden zu diesen kurdischen Organisationen abhängig machte.

Dabei verlangt die Türkei, dass die gesamte Nato und die Beitrittskandidaten Ankara in seinem "Kampf gegen den Terror" unterstützen. Während Schweden und Finnland inzwischen Zugeständnisse gemacht haben und sich in eine fast bittstellerische Position gegenüber der Türkei begeben haben, stehen die USA zu ihrem Bündnis mit der YPG. Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan hat schon mehrmals angekündigt, mit neuen Militäroperationen auf syrischem Boden gegen die PYD/YPG vorgehen zu wollen. Dem steht aber auch die Anwesenheit der US-Truppen in Syrien entgegen.

Die von Ankara geforderte Abkehr Washingtons von der PYD/YPG könnte am Ende zu einem Abzug der US-Truppen aus dem Nordosten des Bürgerkriegslands Syrien führen. Ohne Unterstützung der Kurden stünden die nur etwa 1000 US-Soldaten in Syrien schnell auf verlorenem Boden. Dies würde dem syrischen Regime unter Baschar al-Assad zugutekommen. Assad verdankt sein Überleben als Herrscher im Bürgerkrieg allein dem militärischen Eingreifen Russlands und Irans an seiner Seite. Ein Abzug der US-Truppen würde seine Position enorm stärken.

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