Der türkische Präsident unternimmt derzeit häufiger Staatsbesuche, von denen es heißt, sie seien historisch. Mal liegt das daran, dass sein letzter Besuch weit zurückliegt. Mal aber auch daran, dass es zwischen der Türkei und dem anderen Land zuletzt nicht besonders gut lief.
Im vergangenen Dezember zum Beispiel war Recep Tayyip Erdoğan in Griechenlands Hauptstadt Athen und versicherte seinen Gastgebern, dass die Türkei nicht vorhabe, "eines Nachts" eine griechische Insel zu besetzen - obwohl er ebendies im Jahr zuvor angedroht hatte. Im Februar flog er nach Kairo, wo er zwölf Jahre lang nicht mehr gewesen war; den in Ägypten seit 2014 regierenden früheren General Abdel Fattah al-Sisi hatte er mal "Putschist", mal "Tyrann" genannt. Alles vergessen, ein neuer Anfang.
Ein Neuanfang soll es sein
Diesen Montag nun brach Erdoğan in den Irak auf, erst nach Bagdad, wo er zuletzt 2012 war - noch als türkischer Premierminister, so lange ist das her. Später am Tag wurde Erdoğan im nordirakischen Erbil erwartet, der Hauptstadt der autonomen Region Kurdistan. Ein Neuanfang soll es sein, ähnlich wie in Kairo, lange vorbereitet und verbunden mit Unterschriften unter angeblich 30 Verträge zwischen der Türkei und dem Irak.
Um die Wirtschaft geht es also. Etwa um einen neuen Transportweg, eine Straßen- und Eisenbahnverbindung vom Persischen Golf im Süden bis zur türkischen Grenze im Norden. Und darum, dass irakisches Öl über Pipelines in die Türkei fließen kann und von dort weiter in die Welt. Zudem wünscht sich die irakische Regierung, dass die Türkei über den Euphrat und den Tigris mehr Wasser freigibt, die Flüsse fließen über die türkisch-irakische Grenze.
Inzwischen spricht Präsident Erdoğan bei den meisten seiner Reisen vor allem über die Wirtschaft, so war es selbst, als er vergangenes Jahr seinen russischen Amtskollegen Wladimir Putin in Sotschi traf. Im Irak allerdings ist die Wirtschaft das eine, das andere sind die Sicherheitsfragen - vor allem die um die PKK. Die kurdische Miliz, die gegen den türkischen Staat kämpft, hat in den Bergen des Nordirak ihr wichtigstes Rückzugsgebiet. Bis vor Kurzem war sie im Irak, anders als in der Türkei, nicht verboten.
Der Krieg zwischen der türkischen Armee und der PKK hat sich in den vergangenen Jahren verlagert, über die Grenze hinweg auf irakisches Territorium. Die Türkei hat dort Dutzende Stützpunkte eingerichtet, erst am Sonntag meldeten kurdische Beobachter neue türkische Luftangriffe. Wenig überraschend hat das Verhältnis zu Bagdad darunter gelitten, dass die Türkei irakisches Gebiet besetzt hält - im Prinzip ist sie im Norden des Landes einmarschiert.
Erdoğan spricht von einem Sicherheitskorridor
Der türkische Plan, sich mit den Irakern wieder anzufreunden, fußt auf einer Idee: dem gemeinsamen Kampf gegen die PKK. Im März hat Bagdad die Miliz verboten, ein militärisches Kommandozentrum im Bund mit der Türkei soll folgen. In Zukunft will man sich absprechen. Im Prinzip verspricht die türkische Seite damit, dass ihre Armee nicht mehr ohne Wissen der Iraker in deren Land vorgeht.
Die Türkei erhofft sich davon einen effektiveren Kampf gegen die PKK, vielleicht sogar so etwas wie ein Ende ihres unendlichen Krieges. Erdoğan spricht von einem Sicherheitskorridor auf der irakischen Seite der Grenze, den die beiden Länder zusammen überwachen könnten. Die Regierung in Bagdad erhofft sich wiederum Souveränität und Handel. Der Krieg zwischen der Türkei und der PKK hatte keinen guten Einfluss auf die Ölexporte, auf die der irakische Staatshaushalt angewiesen ist. Die geplante Bahntrasse würde das Land über die Türkei an Europa anbinden.
Der Irak hat ein Interesse daran, sich von Iran zu distanzieren
Und dann ist da noch der aktuelle Konflikt in der Region, der den Irak angesichts der proiranischen Milizen im Land belastet. Die liefern sich seit Beginn des Gaza-Konflikts einen Schattenkrieg mit Israel und den USA, haben immer wieder US-Einrichtungen auf irakischem Boden angegriffen, worauf die USA mit Luftschlägen antworteten - ebenfalls im Irak. Die iranischen Raketen und Drohnen auf Israel flogen über irakischen Luftraum, dort schossen amerikanische Kampfjets auch die meisten ab. Im Januar feuerte Iran sogar Raketen auf Ziele in Erbil, angeblich auf Häuser des israelischen Geheimdiensts.
Die Auseinandersetzungen zwischen der Türkei und der PKK, die militärischen Aggressionen zwischen Israel und Iran - der Irak ist also Schauplatz gleich mehrerer Konflikte, die nicht seine sind. Bagdad will das Land befrieden, das seit dem Einmarsch der US-geführten Koalition im Jahr 2003 nicht zur Ruhe kommt. Deswegen hat die Regierung auch ein Interesse daran, sich von Teheran zu distanzieren, dessen bewaffnete Milizen ihr viel zu mächtig geworden sind. Die Türkei, akut auf der Suche nach neuen Freunden, bietet sich als Partnerin an.