Vor dem Wochenende überraschte Recep Tayyip Erdoğan die Türken mit einer Bitte: Man solle nun die harten Bandagen wegpacken und die "heißen Eisen" kühlen; Versöhnung sei angesagt nach einem äußerst harten Wahlkampf. Am Sonntag versuchte dann ein Mob in Ankara den Oppositionsführer zu lynchen. Einer der Schläger wurde schon identifiziert: Er gehört zu Erdoğans Regierungspartei AKP.
Monatelang hat die AKP die Opposition pauschal unter Terrorverdacht gestellt, Erdoğan hat polarisiert, wo er nur konnte. Nun will er sich davon reinwaschen. Aber das Gift ist ausgelegt, die Gesellschaft tief gespalten. Angst und Unsicherheit haben sich breitgemacht, und nationalistische Schlägertrupps fühlen sich im Recht.
Erdoğans Friedensappell klingt ohnehin hohl, solange der Präsident dem neuen Bürgermeister von Istanbul den Handschlag verweigert. Die AKP verlangt immer noch eine Wahlwiederholung. Sie hat den Machtwechsel nicht akzeptiert, und sie ist offenbar nicht bereit, aus eigenen Fehlern zu lernen. In einem neuen Wahlkampf würde sie gewiss wieder Gift und Galle spucken. Die oberste türkische Wahlbehörde kann dies verhindern, indem sie der Regierung die Stirn bietet. Es wäre eine demokratische Premiere und ein echter Beitrag zum Frieden in der Türkei.