Türkei-Hilfe der EU:Die verschwundene Klausel

EU-Kommission will visumfreie Einreise für Türken empfehlen

Der Zwist zwischen Ankara und Berlin weitet sich auf die EU aus.

(Foto: Tolga Bozoglu/dpa)
  • Die Bundesregierung will, dass die EU ihre Hilfen für den Beitrittskandidaten aussetzt.
  • Allein zwischen 2007 und 2015 hat die Türkei von der EU sechs Milliarden Euro erhalten.
  • Die sogenannten Vorbeitrittshilfen zu stoppen, ist allerdings gar nicht so einfach. Auch, weil eine Klausel fehlt.

Von Robert Roßmann, Berlin

Es ist Wahlkampf in Deutschland, die Parteien suchen deshalb gerade eher den Konflikt als den Konsens. Umso erstaunlicher ist es, wenn bei einem Thema von links bis rechts Einigkeit herrscht - wie gerade bei den "Vorbeitrittshilfen" für die Türkei.

Die Europäische Union unterstützt Beitrittskandidaten mit sehr viel Geld, um die Anpassung an die rechtsstaatlichen, sozialen und wirtschaftlichen Standards der EU zu erleichtern. Laut Bundesfinanzministerium hat die Türkei von der EU auf diesem Weg allein zwischen 2007 und 2015 gut sechs Milliarden Euro erhalten, der deutsche Anteil daran betrug 1,22 Milliarden Euro.

Doch damit soll jetzt Schluss sein, fordern nicht nur CSU-Chef Horst Seehofer und die Fraktionsvorsitzende der Linken, Sahra Wagenknecht. Auch Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) stellt die Unterstützung zur Disposition, SPD-Chef Martin Schulz sagt, er halte es "nicht für sinnvoll", dass die EU die Hilfen weiter überweise - und Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) will, dass die Hilfen "auf Eis gelegt werden".

Hilfen aussetzen? Gar nicht so einfach!

Bei so viel Einigkeit sollte es mit den Hilfen doch schnell vorbei sein, könnte man meinen. Doch weit gefehlt. Das liegt zum einen daran, dass Deutschland gar nicht alleine darüber befinden kann. Über die Hilfen entscheidet Brüssel und nicht Berlin. Zum anderen erschwert aber auch die weitgehend unbeachtete Streichung einer Klausel die Aussetzung der Hilfen für die Türkei. Um was geht es?

Die Hilfen der EU laufen seit 2007 unter dem Titel "Instrument for Pre-Accession Assistance (IPA)". Die Deutschen sprechen von Heranführungs- oder Vorbeitrittshilfen. Sie werden in Sieben-Jahres-Programmen vergeben. Für 2007 bis 2013 galt "IPA I". Von 2014 bis 2020 läuft "IPA II", allein in diesem Programm sind 11,69 Milliarden Euro eingeplant, 4,45 Milliarden Euro davon für die Türkei.

Nun gibt es aber ein Problem. In der Verordnung für das erste Programm (IPA I) gab es noch eine Klausel zur Aussetzung der Heranführungshilfe. Nach dieser Klausel war die Wahrung der demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätze eine Voraussetzung für die Gewährung der Hilfen. Bei Nichteinhaltung konnte die EU sie aussetzen. Dies wäre die rechtliche Grundlage, um der Türkei jetzt das Geld zu streichen.

Doch im derzeit laufenden Programm IPA II gibt es diese Klausel nicht mehr. In einem Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags heißt es deshalb: "In Ermangelung der Klausel über die Aussetzung der Heranführungshilfe in dieser Verordnung" sei "eine Suspendierung der Hilfe nicht möglich, solange das Beitrittsverfahren der Türkei andauert". Die EU kann die Hilfen also nur dann komplett aussetzen, wenn sie auch die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aussetzt oder endgültig abbricht. Aber genau das will die Bundesregierung zumindest derzeit noch nicht. Ein Dilemma.

Es gibt einen Umweg, die Hilfen für die Türkei klein zu halten

Womit sich aber auch die Frage stellt, wie es zum Wegfall der Klausel kommen konnte. Der für Europa zuständige Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth (SPD), sagte dazu im Bundestag lediglich: "Bei den Verhandlungen über die IPA‑II-Verordnung in den Jahren 2012 bis 2014 gab es in der Ratsarbeitsgruppe Erweiterung (COELA) unter den Mitgliedstaaten keine Mehrheit für die Einfügung einer Suspendierungsklausel." Das Bundesaußenministerium konnte bis Freitagabend Nachfragen dazu, welche Staaten sich in der Ratsarbeitsgruppe gegen die Klausel ausgesprochen haben und ob Deutschland zu ihnen gehört, nicht beantworten.

Vollkommen handlungsunfähig ist die EU aber nicht. Sie kann die Heranführungshilfe zwar ohne Aussetzung der Beitrittsgespräche mit der Türkei nicht generell stoppen. Sie kann aber - so das Bundestagsgutachten - mit "Einzelfallentscheidungen" Projekte "innerhalb der einzelnen Programme suspendieren". Bereits eingegangene vertragliche Verpflichtungen müssten aber eingehalten werden.

Die EU bemüht sich schon seit einiger Zeit, auf diesem mühsamen Weg die tatsächliche Hilfe klein zu halten. In dem Gutachten heißt es, von den eingeplanten 4,45 Milliarden Euro für die Türkei seien bislang nur "215,3 Millionen Euro vertraglich gebunden und 203,5 Millionen Euro ausgezahlt".

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