Verhandlungen mit der Türkei:Europa zahlt an die Türkei einen stattlichen Preis

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Ahmet Davutoğlu hat der Europäischen Union harte Bedingungen für einen Deal genannt. (Foto: Bloomberg)

Die EU will ihren Frieden, die Türkei hat dafür die Bedingungen genannt. Eine politische Zäsur in Europa kündigt sich an.

Kommentar von Stefan Kornelius

Die EU-Mächtigen echauffieren sich jetzt über vermeintliche Absprachen der Bundeskanzlerin mit dem türkischen Ministerpräsidenten - dabei hätten die Damen und Herren in den vergangenen Wochen lediglich Zeitung lesen müssen.

Alle wichtigen Bauteile der EU-Türkei-Verhandlungen - Rücknahme von Flüchtlingen, Übernahme eines Kontingents, Ablasszahlung, Visafreiheit, neue Verhandlungen über eine türkische EU-Mitgliedschaft - sind längst bekannt gewesen. Neu war lediglich, dass sie Premier Ahmet Davutoğlu gebündelt auf den Tisch knallte. Das entspricht vielleicht nicht der europäischen Verhandlungs-Tradition, aber es ist wenigstens ehrlich, weil nur ein Naivling glauben konnte, dass ein so umfassender Deal portioniert und mit weißer Harmonie-Salbe verabreicht wird.

Europa will seinen Frieden - aber zu welchem Preis?

Noch immer leben viele in Deutschland und Europa in der Erwartung, dass man in Sachen Flüchtlinge den Pelz gewaschen bekommen könne ohne nass werden zu müssen. Drei Verhandlungselemente zeigen nun, dass ein Deal mit der Türkei einen heftigen Preis haben wird. Ganz oben steht der türkische Wunsch nach Visafreiheit. Nichts hat mehr Bedeutung aus Sicht Ankaras. Und nichts birgt größere Gefahren aus der Sicht vieler Europäer.

Um es - unzulänglich - zu verkürzen: Europa mag sich mithilfe der Türkei afghanische und irakische Flüchtlinge auf Distanz halten, doch dafür könnten bald viele Kurden aus den Bürgerkriegsregionen visafrei per Flugzeug einreisen. Das wird nicht nur in Deutschland und vor allem innerhalb der Union für beträchtliche Spannung sorgen.

Problemzone Nummer zwei betrifft den türkischen Verhandlungswunsch mit dem Ziel der EU-Mitgliedschaft. Kaum ein EU-Staat, und vor allem nicht die Türkei selbst, geht davon aus, dass Ankara tatsächlich noch Mitglied der Union werden will. Es geht bei den Verhandlungen also vor allem um eine politische Aufwertung, die besonders Zypern aber auch Frankreich verhindern wollen. Dennoch könnten Zugeständnisse hier ihren Charme entwickeln: Die EU könnte darauf dringen, die Verhandlungskapitel zu Medien und Rechtsstaatlichkeit mit Verve voranzutreiben. Das wird als Glaubwürdigkeitstest schnell seine Wirkung entfalten.

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Hader Nummer drei hat mit dem Rücknahme-Mechanismus zu tun, der sich da offenkundig anbahnt. Die EU würde ihr Asyl-Prüfverfahren faktisch in ein Nachbarland auslagern und bis auf syrische Kriegsflüchtlinge alle von einer Anhörung ausschließen. Das ist nicht nur rechtsstaatlich und völkerrechtlich problematisch. Es verhilft der Europäischen Union auf einen Schlag zu einer neue Migrationspolitik, was ja nicht wenige in Deutschland so lauthals fordern.

Es ist also mehr als gerechtfertigt, über diese politische Zäsur noch ein paar Nächte zu schlafen. Die Verhandlungen mit der Türkei haben den Ton rau werden lassen. Aber gleichzeitig bekommt Europa seinen Schengen-Raum zurück und vielleicht auch seinen innenpolitischen Frieden. Der Preis dafür ist allerdings stattlich.

© SZ vom 09.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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