Türkei: "Ich dachte, sie wollten mich töten"

Die Verschleppten

Aus dem Auto gezerrt, geschlagen und gefesselt: Die Entführung des Türken Yusuf Karabina am 29. März 2018 in Pristina, im Kosovo.

(Foto: ZDF)
  • Mehrere europäische Medien berichten über Maßnahmen türkischer Behörden gegen die Gülen-Bewegung außerhalb der Türkei.
  • Fethullah Gülen lebt derzeit in den USA und wird von der türkischen Regierung für den Putschversuch vom Juli 2016 verantwortlich gemacht.
  • Regierungsnahe türkische Medien kritisierten die Berichte heftig als "schwarze Propaganda".

Von Christiane Schlötzer, Istanbul

Fünf Zellen in einer Reihe, Verhörräume, ein Gefängnis ohne Namen. Der Ort? Irgendwo in der Türkei. "Ich dachte, sie wollten mich töten", sagt ein Türke, dessen Gesicht der Zuschauer nicht sieht, sein Name ist nur ein Pseudonym: "Tolga". Der Mann hat dem ZDF und dem Berliner Recherchezentrum Correctiv berichtet, wie er auf der Straße überrumpelt, entführt und an einem geheimen Ort gefoltert wurde. Mit Schlägen, der Drohung mit Vergewaltigung, Essensentzug. Die Täter: angeblich türkische Geheimdienstleute.

Der Zeuge Tolga sagt, man habe ihn dazu zwingen wollen, "als Spion" in der Organisation von Fethullah Gülen tätig zu werden und andere Anhänger des türkischen Predigers zu verraten. Gülen, der seit 1999 in den USA lebt, wird von der türkischen Regierung für den Putschversuch vom Juli 2016 verantwortlich gemacht. Zum Schein sei er auf das Angebot eingegangen, erzählt Tolga. Dann ließen sie ihn frei, und er flüchtete nach Europa. Wo der Türke nun lebt, erfährt man in dem Film nicht. Zu gefährlich. Denn es gab schon mehrere "Zwangsrückführungen" von türkischen Gülen-Anhängern, aus Kosovo, der Ukraine, aus Malaysia, wie es in dem Beitrag von "Frontal 21" heißt.

Regierungsnahe türkische Medien reagierten am Mittwoch heftig auf die Recherchen, die zeitgleich auch in Tageszeitungen in Frankreich, Spanien, Italien, Israel und Skandinavien veröffentlicht wurden. Die regierungsnahe Yeni Şafak nannte die Vorwürfe "schwarze Propaganda", sie sah die Türkei als Ziel eines "globalen Angriffs" und "einer Schmierkampagne". Ohne erkennbaren Zusammenhang wetterte das Blatt in seiner Replik auf das ZDF auch gegen die Konrad-Adenauer-Stiftung, die seit Langem in der Türkei tätig ist. Es nennt die CDU-nahe Stiftung Teil des "tiefen deutschen Staates".

"Einen nach dem anderen" werde man vor Gericht stellen, sagte Präsident Erdoğan

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat nie bestritten, dass sein Land auch außerhalb des eigenen Territoriums nach Anhängern Gülens sucht, die von seiner Regierung inzwischen nur noch als "Mitglieder der Fethullahistischen Terrororganisation" bezeichnet werden. "Einen nach dem anderen" werde man die ins Ausland Geflüchteten "in unser Land" bringen und sie vor Gericht stellen, hatte Erdoğan am 7. Juli im Parlament gesagt.

Am 17. Juli berichtete Hürriyet Daily News, dass der türkische Geheimdienst MİT in Pristina, der Hauptstadt Kosovos, "in Zusammenarbeit mit dem kosovarischen Geheimdienst" sechs Männer "festgenommen" habe. Sie hätten angeblich den Auftrag gehabt, Gülen-Anhänger aus der Türkei nach Europa und in die USA zu schmuggeln. Wie diese "Festnahmen" abliefen, schildert im ZDF die Frau eines Lehrers, der gegen seinen Willen aus Kosovo in die Türkei gebracht wurde und seither nicht wieder zurückgekehrt ist. Ihr Mann Yusuf sei am 29. März aus seinem Auto gezerrt, geschlagen und gefesselt worden, sagt Yasemin Karabina. Nur wenige Zeugen lassen sich mit Namen zitieren. Andere betroffene Angehörige haben sich in Ankara an den Vorsitzenden der türkischen Menschenrechtsorganisation IHD, Öztürk Türkdoğan, gewandt. Sie haben aber Angst und wollen anonym bleiben.

Sorgen um die eigene Sicherheit haben womöglich auch regierungskritische türkische Medien, die am Mittwoch zunächst nicht über die Recherchen berichteten. Zudem gibt es in der Türkei seit dem Putschversuch nur noch wenig Sympathien für Anhänger Gülens. Der war einst ein Verbündeter Erdoğans, bis beide zu Rivalen wurden. Die Regierung wirft der Gülen-Bewegung vor, sie habe versucht, den Staat zu unterwandern. Nach Angaben des Innenministeriums vom November wurden seit dem Putschversuch 218 000 Menschen festgenommen, 16 684 verurteilt, viele zu lebenslanger Haft. 14 750 befänden sich noch in Untersuchungshaft. Mindestens 140 000 Staatsbedienstete wurden entlassen, darunter Militär- und Justizangehörige, Polizisten, Lehrer.

Gülens Netzwerk umfasste Schulen in vielen Ländern, religiöse Unterweisung spielte im Lehrplan keine Rolle. Dazu dienten aber sogenannte "Lichthäuser", Wohngemeinschaften junger Männer.

Yasemin Karabina aus Pristina weiß inzwischen, wo sich ihr Mann befindet: im Hochsicherheitsgefängnis Silivri, vor den Toren Istanbuls. Die Türkei hat offiziell die Folter zu Beginn der Erdoğan-Zeit vor 16 Jahren abgeschafft. Früher war sie in Gefängnissen und auf Polizeistationen weit verbreitet. Aber auch nach den Gezi-Protesten 2013 berichteten Demonstranten der Süddeutschen Zeitung von "geheimen" Orten, an denen sie misshandelt wurden. Die Regierung bestritt deren Existenz.

Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth fordert mehr Druck auf Ankara. Dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sagte die Politikerin der Grünen, "die große Koalition tut fast so, als sei in der Türkei alles wieder in Ordnung. Nichts ist in Ordnung."

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