Grenzstreitigkeiten:Wie die Türkei an Gas unter dem Mittelmeer kommen will

Das türkische Forschungsschiff Oruc Reis (M.) im Mittelmeer 2010, begleitet von türkischen Kriegsschiffen.

Das türkische Forschungsschiff "Oruç Reis" (M.) im Mittelmeer 2010, begleitet von türkischen Kriegsschiffen.

(Foto: Verteidigungsministerium der Türkei/AFP)

Die Regierung von Präsident Erdoğan und Libyen streiten mit Griechenland über Erdgasvorkommen in ihren Hoheitsgebieten auf See. Nun überrascht ein Berufungsgericht in Tripolis alle Beteiligten.

Von Mirco Keilberth, Tunis

Nach dem Urteil eines Berufungsgerichtes in der libyschen Hauptstadt Tripolis kommt Bewegung in einen Streit um die Bodenschätze des Mittelmeers zwischen Libyen und der Türkei einerseits und Griechenland und Ägypten andererseits.

Die Richter hatten vergangene Woche der Klage von fünf libyschen Rechtsanwälten stattgegeben und die weitere Umsetzung eines Wirtschaftsabkommens verboten, das türkischen Firmen die Förderung von Öl und Gas in libyschen Hoheitsgewässern überträgt.

Das Problem mit diesem im Oktober letzten Jahres unterzeichneten "Memorandum of Understanding": Damit sollte ein libysch-türkisches Seegrenzenabkommen umgesetzt werden, mit dem beide Länder Teile des Mittelmeeres vor Kreta und Zypern für sich beanspruchen, die Griechenland als eigenes Hoheitsgebiet betrachtet. Türkische Explorationsschiffe suchen dort bereits nach vermuteten Gasvorkommen - beschützt von der türkischen Marine.

Die Türkei hat ihre eigene Vorstellung von sogenannten Festlandsockeln

Das Seegrenzenabkommen, 2019 geschlossen zwischen Ankara und der Regierung des damaligen libyschen Ministerpräsidenten Fayez al-Serraj, wird von der EU nicht anerkannt. "Das Memorandum verletzt die Hoheitsrechte von Drittstaaten und steht nicht im Einklang mit dem internationalen Seerecht. Es kann keinerlei Rechtsfolgen für Drittstaaten haben", heißt es in einer Erklärung eines EU-Gipfeltreffens aus dem Dezember 2019. Denn die von Libyen und der Türkei geschaffene Wirtschaftszone erstreckt sich quer über das Mittelmeer und ignoriert die international anerkannten Grenzen der griechischen Hoheitsgewässer. Da die Türkei nicht dem internationalen Seerechtsabkommen beigetreten ist, kann der Fall aber nicht vor dem Internationalen Seegerichtshof verhandelt werden.

Den türkischen Anspruch auf das eigentlich griechische Territorium begründete Präsident Recep Tayyip Erdoğan mit dem sogenannten Festlandsockel der Türkei. Laut einem türkischen geologischen Gutachten setzen sich Felsformationen des türkischen Festlandes unter der Meeresoberfläche bis hin zur griechischen Insel Kreta und der Inselgruppe der Dodekanes fort. Griechenland habe auf die Gebiete keinen Anspruch, da diese Inseln keinen Festlandssockel hätten, so die türkische Interpretation. Zypern wird von der Türkei in dieser Frage ignoriert, da Ankara die Republik nicht als Staat anerkennt.

In Griechenland, Ägypten und auf Zypern löste die Vereinbarung Entsetzen aus. Im Brennpunkt des ganzen Streits stehen die Gasvorkommen vor der Küste Zyperns. Eine von Athen geschmiedete Allianz mit Ägypten und Israel will das dort vermutete größte Gasfeld des Mittelmeeres anzapfen und Gas über bereits funktionstüchtige Flüssiggasterminals bei Alexandria nach Europa exportieren.

Tripolis zieht mit, weil die Regierung unter dem Druck von Ankara steht

Nach Angaben der griechischen Zeitung Kathimerini hat der amerikanische Ölgigant Exxon Mobil bereits angekündigt, 2024 für Griechenland vor Kreta mit Erkundungsbohrungen zu beginnen. Zusammen mit der griechischen Helleniq Energy soll südlich und westlich vor Kreta und mitten in dem vom Nato-Partner Türkei beanspruchten Gebiet dann die Förderung beginnen.

Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu warnte die anderen Mittelmeeranrainer jedoch bereits mehrmals davor, in den aus seiner Sicht türkischen Hoheitsgewässern aktiv zu werden.

Beobachter der politischen Szene in Tripolis sind sich einig, dass die Wirtschaftszone auf türkischen Druck zustande kam. Die türkische Armee hatte zuvor die Eroberung der libyschen Hauptstadt durch die ostlibysche Armee von Warlord Khalifa Haftar verhindert. Der selbsternannte Feldmarschall hatte 18 Monate lang versucht, Serraj aus Tripolis zu vertreiben, musste sich aber zurückziehen, nachdem die Türkei Drohnen, Militärberater und etwa 20 000 syrische Söldner nach Libyen geschickt hatte.

Die Schwäche der libyschen Regierung versucht Erdoğan für einen aberwitzigen Plan zu nutzen, die riesigen Öl-und Gasschätze in libyschen und griechischen Gewässern zu heben, glaubt der libysche Journalist Moataz Ali.

Über die Häfen von Misrata, Tripolis und Khoms hat sich nach dem Ende des Krieges bereits ein regelrechter Importboom von türkischen Produkten nach Libyen entwickelt. Seit Abschluss des Seegrenzenabkommens haben türkische Firmen ein Monopol zum Wiederaufbau libyscher Infrastruktur erhalten, wie zum Beispiel des internationalen Flughafens von Tripolis, so Moutaz Ali. In Westlibyen wird die Türkei zudem als einziger Schutz vor einem erneuten Angriff von Khalifa Haftar und den russischen Söldnern gesehen, die für ihn kämpfen.

Libysche Medien warnen vor dem Ausverkauf des Wohlstands an die Türkei

Doch möglicherweise ist die Türkei mit ihrer offensiven Außenpolitik auf dem Mittelmeer zu weit gegangen. "Das Memorandum of Understanding mit der Türkei wird zwar in Westlibyen begrüßt", sagt der Libyen-Experte Michel Cousins. "Aber die Übertragung aller Explorationsrechte an türkische Firmen im letzten Oktober hat die Stimmung gedreht." Vom Ausverkauf des libyschen Wohlstands an die Türkei ist in libyschen Medien die Rede.

Die libysche Regierung von Premier Abdul Hamid Dabaiba kann gegen das Gerichtsurteil vom letzten Montag angehen, doch die weitere Prozedur ist umstritten, auch weil die Mandate des libyschen Parlaments und der Regierung abgelaufen sind. Die für Dezember 2021 geplanten Wahlen wurden nach Drohungen von Milizen immer wieder abgesagt. Die Regierungen in Tripolis und Ankara kommentierten den überraschenden Urteilsspruch zunächst nicht.

Der libysche Minister für Öl und Gas, Mohamed Oun, sagte am Freitag allerdings, dass Libyen bereit sei, mit den Anrainerstaaten über das Festlegen der maritimen Grenzen zu sprechen. Auch eine Entscheidung des Internationalen Gerichtshofes sei ein möglicher Weg, so Oun. Der Minister fordert immer wieder amerikanische und europäische Ölfirmen dazu auf, nach Libyen zurückzukehren, um das marode Pipelinenetzwerk des ölreichsten Landes auf dem afrikanischen Kontinent zu sanieren.

Es gibt allerdings noch ein weiteres Land, das in dem Streit um die Bodenschätze am südlichen Mittelmeer ein Wörtchen mitreden kann: Russland. Mehrere Hundert Söldner der russischen Sicherheitsfirma Wagner sind an der libyschen Küste stationiert, geschützt von modernen Mig-29-Kampfjets der russischen Luftwaffe. Der Waffenstillstand in Libyen kam durch ein Geheimabkommen Russlands und der Türkei zustande. In Washington sorgt man sich offenbar, dass im Streit um das Öl und Gas des Mittelmeeres Moskau der lachende Dritte sein könnte. Wenige Tage nach dem Gerichtsurteil reiste CIA-Chef William Burns unangekündigt nach Tripolis.

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