Süddeutsche Zeitung

Bergbau in der Türkei:"Kommt nicht her, wenn ihr Gold liebt"

  • Eine kanadische Firma plant, an den Dardanellen Gold abzubauen. Dabei soll auch hochgiftiges Zyanid verwendet werden.
  • Für den Goldabbau wurden 35 Kilometer östlich der Stadt Çanakkale bereits 200 Hektar Wald gerodet.
  • Umweltschützer und Bürgermeister schlagen Alarm, in der Bevölkerung regt sich Widerstand wie seit den Gezi-Protesten 2013 nicht mehr.
  • Die regierende AKP hält die Reaktionen für überzogen und sieht keine Gefahr für die Umwelt.

Von Christiane Schlötzer, Istanbul

Die türkische Dichterin spricht von den Göttern, den griechischen. "Erzählt euren Kindern, dass Zeus die Trojanischen Kriege von diesen Bergen aus verfolgt hat", schreibt Mine Söğüt. Tarkan, der Popmusiker, warnt: Die Türkei opfert ihre Berge, Seen und Meere, "aus reiner Geldgier". Und der örtliche Bürgermeister sagt: "Es bricht mir das Herz."

Aus der Luft sieht man nur eine braune Fläche, Hügel an Hügel, baumlos. 195 000 Bäume wurden hier gefällt, sagt die türkische Umweltstiftung Tema, für eine Goldmine. Seit die Luftbilder der ausgeräumten Landschaft unweit des kleinen Ortes Kirazlı - etwa 35 Kilometer östlich der Stadt Çanakkale - erstmals in sozialen Medien auftauchten, rollt eine Protestwelle, so schnell und spontan, wie man das schon lange nicht mehr gesehen hat in der Türkei. In jedem Fall nicht seit den Tagen von Gezi, als 2013 in Istanbul Hunderttausende protestierten, für einen kleinen Park und gegen die Regierung von Recep Tayyip Erdoğan. Die Proteste wurden von der Polizei niedergeschlagen. Ein paar der damaligen Aktivisten stehen vor Gericht, ihnen drohen lange Haftstrafen. Seit 2013 gab es nur selten größere Proteste, und wenn, verliefen sie sich schnell.

Ende Juli schlugen ein paar Umweltaktivisten in der Nähe des Minengeländes Zelte auf, sie nannten das "eine Wasser- und Gewissenwache". Am vergangenen Montag versammelten sich schon mehrere Tausend Demonstranten dort. Sie wanderten zum Bauplatz, wo die wenigen Wächter sie durchließen. Nach ein paar Stunden zogen sie wieder ab. Alles war friedlich, und auch die Zelte in der Nähe blieben stehen.

Es ist ja Sommer, gute Zeit für einen Bergausflug. "Wir hatten Ballons dabei und spielten Gitarre", erzählte Burak Çiftçi, 34 Jahre alt, einer der Camper, einer türkischen Journalistin. "Wir haben nicht vor, die Mine anzugreifen, was wir tun, ist ziviler Widerstand", sagte Çiftçi.

Das Gelände der Mine bei Kirazlı - und einer zweiten in der Nähe, unweit des fast 1000 Meter hohen Berges Ağı- wurde von der kanadischen Firma Alamos Gold im Januar 2010 für 90 Million Dollar erworben. So heißt es auf der Firmenwebseite. 2017 wurden die ersten Bäume gefällt.

Gold ist mit der Region besonders verbunden

"Warum hat damals keiner protestiert?", fragt Bülent Turan, Abgeordneter der Regierungspartei AKP in der Provinz Çanakkale. "Heute nützt das doch keinem Baum mehr." Turan zweifelt an den Zahlen der Umweltschützer. Allenfalls 13 000 Bäume seien weg, sagt er. Über die Zahlen wird nun heftig gestritten. Experten rechnen vor: Dass auf 200 Hektar Wald nur 13 000 Bäume gestanden hätten, sei unmöglich. Regierungssprecher Ömer Çelik sagt, 14 000 Setzlinge seien schon andernorts für die gefällten 13 000 Bäume gepflanzt worden. Die Türkei sei "sehr achtsam, was die Natur betrifft". Auch die Demonstranten hatten am Montag Baumsetzlinge dabei, sie pflanzten sie in die trockene Erde. Es war eine symbolische Aktion.

Der Bürgermeister der Stadt Çanakkale, Ülgür Gökhan, unterstützt den Protest. Er hat der Webseite Bianet gesagt, er wende sich schon seit Jahren an die Gerichte. Die Umweltstudie, die für jedes Großprojekt in der Türkei erstellt werden muss, sei wegen der Einsprüche gar verworfen worden. Man habe dann aber eine neue Studie erstellt, und die Arbeiten auf dem Minengelände gingen weiter. Der Bürgermeister gehört der säkularen Oppositionspartei CHP an. Die zeigt nach erfolgreichen Kommunalwahlen auf einmal neue Zuversicht. Gökhan sagt, er hoffe weiter auf die Justiz, nur sie könne das Projekt noch stoppen.

Çanakkale liegt an den Dardanellen, der Meerenge zwischen Marmarameer und Mittelmeer, zwischen Europa und Asien. Es ist ein historisch bedeutsamer Schauplatz für Heldengeschichten und bittere Niederlagen. Hier fand die Schlacht um Gallipoli statt, eine der blutigsten des Ersten Weltkriegs. Am Ende siegte die osmanische Armee, unter sehr hohen Verlusten. Es ist aber auch die Landschaft von Troja. Nicht nur Heinrich Schliemann glaubte, hier die von Homer beschriebene antike Stadt gefunden zu haben, und grub 1873 den Goldschatz des Priamos aus. Gold scheint auf besondere Weise mit der Region verbunden zu sein. Auch das nahe Ida-Gebirge spielt in der griechischen Mythologie eine große Rolle. Zeus soll von seinem höchsten, 1774 Meter hohen Gipfel die Schlachten des Trojanischen Krieges verfolgt haben.

In der Türkei heißt der Bergzug Kaz Dağlari, er wird nun sogar in Istanbul verteidigt. Am Donnerstag tauchten an der Galata-Brücke Plakate auf, die zum "Widerstand" gegen Naturzerstörung in der 400 Kilometer entfernten Bergregion aufriefen. Sie erinnerten auch an ein Staudammprojekt im Südosten, für das die antike Stadt Hasankeyf geopfert wurde. Istanbuls Bürgermeister Ekrem İmamoğlu, seit seiner Wahl im Juni die Hoffnung der Opposition, hat auch schon dem kanadischen Botschafter Chris Cooter seine Bedenken gegen die "Naturzerstörung" vorgetragen.

Die Bergbaufirma will hochgiftiges Zyanid benutzen

Die Welle hat inzwischen sogar Ankara erreicht. Präsident Erdoğan ließ die AKP-Fraktion wissen, er verstehe die ganze Aufregung nicht. Bergbau-Explorationen in der Region seien älter als die AKP. Er habe die Kaz-Berge selbst schon besucht und werde das bald wieder tun. Außerdem sprach Erdoğan von "Manipulationen".

Was damit wohl gemeint war, erläuterte Regierungssprecher Çelik nach der Sitzung. Er sagte, zwischen der Mine und den berühmten Bergen, deren Zentrum ein Nationalpark ist, lägen doch 40 Kilometer. Die Bergbaufirma werde zudem kein hochgiftiges Zyanid benutzen. Auch davor hatten die Umweltaktivisten gewarnt.

Allerdings: John McCluskey, der Chef der kanadischen Firma Alamos, war auch gerade in Ankara. Der Agentur Reuters sagte er dort, man werde doch Zyanid benutzen, aber alle nötigen Vorkehrungen treffen. "Wir haben eine undurchlässige Membran, darunter eine weitere undurchlässige Schicht und dazwischen ein System, das Lecks erkennt." In sechseinhalb Jahren werde wieder aufgeforstet. Die Umweltbedenken nannte der CEO "einen Mantel für eine tiefe politische Agenda".

Ob der Kanadier damit die Stimmung in der Türkei trifft? In den sozialen Medien werden Bilder anderer Kahlschläge geteilt: für den Istanbuler Flughafen, das Atomkraftwerk bei Sinop am Schwarzen Meer, Villenviertel im Badeort Bodrum.

Gold ist in der Türkei gewöhnlich sehr beliebt. Bräute werden mit Goldreifen behängt. "Kommt nicht her, wenn ihr Gold liebt", schrieben Demonstranten auf ein Plakat. Ein Aufruf zum Luxusverzicht.

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SZ vom 09.08.2019/dayk/cat
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