Während Präsident Recep Tayyip Erdoğan den Türkinnen zum Weltfrauentag gratuliert, protestieren Frauenrechtlerinnen, Oppositionelle und Aktivistinnen gegen die anhaltende Diskriminierung und gegen familiäre Gewalt in ihrem Land. Sie stellen sich dabei zudem an die Seite der in den vergangenen Monaten von der Regierung immer offener angegriffene LGBTQI+-Bewegung.
Präsident Erdoğan beglückwünschte am Montag "alle unsere Frauen, die mit ihrer Liebe, ihren Bemühungen und Opfern die Hoffnung der Menschlichkeit sind". Er setze auf Frauen "in der Erziehung, Kunst, Wirtschaft und Politik" und verurteile jede Form physischer oder psychischer Gewalt gegen Frauen und ebenso jede Art der Diskriminierung. Zugleich betonte er laut der Agentur Anadolu, die Türkei werde alle Versuche abwehren, die Familienstrukturen zu zerstören und "die Heiligkeit der Familie" anzutasten.
Die Frauen hingegen gingen auch am Montag in größeren Gruppen auf die Straße. Sie warfen dem Staatschef und seiner konservativ-islamischen und zunehmend auch rechtsnationalistischen Regierung vor, gezielt Hass gegen Frauen und gegen die LGBTQI+-Bewegung zu schüren. Eine Vertreterin der Organisation "Wir werden Frauenmorde stoppen" sagte der dpa: "Wir wollen alle nur frei und gleich sein."
Erdoğans offizielle Glückwünsche und die Vorwürfe der Frauengruppe spiegeln wider, wo die Türkei steht: Ein konservatives muslimisches Land, das in vieler Hinsicht säkularisiert ist und in dem Frauen selbstbewusst ihre Rechte einfordern, dabei aber auf ein traditionelles, stures Rollenverständnis vieler Männer stoßen. Das wiederum versucht die konservative Regierung für sich politisch zu instrumentalisieren.
400 Frauen durch männliche Familienangehörige getötet
Das Thema Femizid zeigt, wie bedrohlich häusliche Gewalt für türkische Frauen ist: Allein 2020 wurden mehr als 400 Türkinnen von ihren Partnern oder anderen männlichen Familienangehörigen getötet. Immer wieder werden solche Fälle brutaler Gewalt bekannt. So wurde jüngst ein Video öffentlich, in dem ein Mann seine Exfrau in der Kleinstadt Canik vor den Augen ihres Kindes tritt und prügelt, weil sie ihm angeblich Besuche bei dem Kind verweigert hat. Zudem waren auch in den vergangenen Monaten wieder mehrmals Frauen von ihren Partnern getötet worden. Allein bis zum März sind es schon mehr als 60 Fälle. Auch wenn die Justiz meist gegen die Täter vorgeht, fallen die Urteile oft milde aus.
Bezeichnenderweise wird inzwischen auch die "Istanbul-Konvention" infrage gestellt. Diese vom Europa-Rat auf den Weg gebrachte Vereinbarung zum Schutz von Frauen vor Gewalt und Benachteiligung hat die Türkei 2011 unterzeichnet. Inzwischen wird sie aber von Teilen der konservativ-islamischen Regierungspartei AKP und auch von ihrem inoffiziellen Koalitionspartner, der rechts-nationalistischen MHP, infrage gestellt. Verteidigt wird sie nicht nur von Teilen der Opposition und von Liberalen, sondern auch von Frauen in der AKP selbst; auch eine der Töchter Präsident Erdoğans engagiert sich für die Frauenrechte.
In den vergangenen Monaten haben die Regierung und die muslimischen Religionsführer zudem die LGBT-Bewegung zum Ziel politscher Angriffe gemacht. Sie bezeichnen Homosexualität als Krankheit und moralische Verfallserscheinung und warnen vor der angeblich drohenden Zerstörung der traditionellen Familienstrukturen und einer angeblichen Gefährdung der Jugend. Besonders scharf hatten sich Innenminister Süleyman Soylu, der Kommunikationsdirektor des Präsidenten, Fahrettin Altun, und der staatliche Führer der sunnitischen Muslime, Ali Erbaş, geäußert. Einige Kritiker verstiegen sich zu der Behauptung, dass es das Phänomen LGBT nicht gebe und es sich um eine westliche Strategie handele, der Türkei durch die Zerstörung ihrer Familienstruktur zu schaden.
Kommunikationsdirektor Altun sagte über Homosexuelle und LGBTQI+: "So etwas Hässliches gegenüber der türkischen Jugend als natürlich zu bezeichnen, ist ein Angriff auf unsere Gesellschaftsordnung und den edlen Charakter unserer Nation." Präsident Erdoğan hat sich nicht viel zurückhaltender geäußert: "Wir bringen unsere Jugend in eine ruhmreiche Zukunft, nicht als LGBT-Jugend, sondern wie die Jugend aus unserer ruhmreichen Geschichte."