Türkei:Erdoğans Syrien-Politik ist gescheitert

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Erdoğan nannte den Anschlag von Suruç einen "Akt des Terrors". (Foto: AFP)

Der türkische Präsident war besessen davon, Syriens Diktator Assad zu stürzen. Den Islamischen Staat unterschätzte er. Das könnte sich rächen.

Kommentar von Mike Szymanski

Mindestens 32 Männer und Frauen kamen ums Leben, als am Montag der Terror über die türkische Stadt Suruç kam, die wenige Kilometer entfernt von der syrischen Grenze liegt. Der Anschlag zeigt, wie verwundbar die Türkei ist. Eine Bombe riss die Männer und Frauen einer sozialistischen Jugendbewegung in den Tod. Sie waren aus den großen Städten des Landes gekommen, um in ihren Sommerferien ein gutes Werk zu vollbringen. Sie wollten helfen, die syrische Stadt Kobanê wieder aufzubauen, nachdem kurdische Kämpfer sie den Milizen des Islamischen Staates (IS)

entrissen hatten. Kobanê war zum Symbol dafür geworden, dass der Kampf gegen die Schlächter vom IS zu gewinnen ist, wenn er entschlossen geführt wird. Suruç droht jetzt zum Symbol dafür zu werden, was passiert, wenn es an dieser Entschlossenheit fehlt.

Noch ist die Tat nicht aufgeklärt. Die Türkei vermutet die Attentäter in den Reihen des IS. Sollte sich das bewahrheiten, führt der Akt auf schmerzhafte Weise der Türkei vor Augen, dass ihre Syrien-Politik auf ganzer Linie gescheitert ist.

Der heutige Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan hat den IS lange nicht als wirkliche Bedrohung für sein Land wahrgenommen. Für Regierungschef Ahmet Davutoğlu waren die Kämpfer des Islamischen Staates anfangs bloß wütende Menschen. Auch dann noch, als der menschenverachtende Fanatismus dieser Islamisten die Weltöffentlichkeit schockierte, war die Politik der Türkei von Verharmlosung geprägt. Den Kampf der internationalen Allianz gegen den IS hat Ankara nicht nur halbherzig unterstützt, sie hat ihn sogar hintertrieben: Dem Terror-Tourismus leistete die Türkei Vorschub, indem sie ihre Grenze lange Zeit für Kämpfer durchlässig hielt.

Ankara fixierte sich auf Syriens Diktator und unterschätzte den IS

Bis heute konnte die Regierung den Verdacht nicht ausräumen, dass in Geheimdienstoperationen auch IS-Kämpfer jenseits der Grenze mit Waffen und Medikamenten versorgt worden sind. Unerträglich, wenn man bedenkt, dass persönliche Enttäuschung das Motiv dafür sein dürfte: Seitdem Erdoğan die Türkei anführt, soll das Land zur Regionalmacht aufsteigen. Syrien sollte als Tor zur arabischen Welt dienen. Aber Präsident Baschar al-Assad war auch auf Drängen Ankaras nicht zu Reformen zu bewegen. Er stürzte stattdessen Syrien in den Bürgerkrieg und ließ die ehrgeizigen Pläne in Ankara Makulatur werden. Erdoğan war bald wie besessen von der Idee, Assad zu stürzen. Das war wichtig für ihn, und nicht, den IS zu stoppen.

Der größte Feind ist immer ein anderer - nur nicht der Islamische Staat. Gerade erst hat die Regierung die Truppen an der Grenze zu Syrien verstärkt. Über einen Einmarsch wurde spekuliert. Ein Kurswechsel? Mitnichten. Die Regierung fürchtet das Erstarken der Kurden, die große Teile Nordsyriens unter Kontrolle gebracht haben und auch in der Türkei nach Unabhängigkeit streben könnten, mehr als den IS. Dafür rüstet sich Ankara. Erdoğan will nicht wahrhaben, dass die Kurden im Kampf gegen den IS der Schlüssel sind - er wird nur mit ihnen Erfolg haben.

© SZ vom 22.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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