Türkei:Erdoğans Gegner straucheln

Türkei: Zuletzt galt vor allem Meral Akşener von der Iyi Parti (Gute Partei) als Erdoğans gefährlichste Herausforderin.

Zuletzt galt vor allem Meral Akşener von der Iyi Parti (Gute Partei) als Erdoğans gefährlichste Herausforderin.

(Foto: AFP)
  • Ob Erdoğan bei den vorgezogenen Neuwahlen am 24. Juni gewinnt, hängt maßgeblich davon ab, ob sich die Opposition auf die Schnelle organisieren kann.
  • Für die CHP gilt Parteichef Kılıçdaroğlu als der wahrscheinlichste Kandidat. Je nach Umfrage liegen mal er, mal die konservative Ex-Ministerin Akşener auf Platz zwei hinter Erdoğan. Ob ihre neue Iyi antreten darf, ist unklar.
  • Hartnäckig halten sich außerdem Gerüchte, wonach der frühere Staatspräsident Gül für die kleine islamische Saadet-Partei antreten könnte.
  • Wichtige Führungspersonen der HDP, auch der ehemalige Parteichef Demirtaş, sitzen im Gefängnis.

Von Luisa Seeling

In der Türkei nennen sie ihn Königsmacher, aber Neuwahl-König wäre passender. Immer wieder hat Devlet Bahçeli, der Langzeit-Vorsitzende der Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP), mit seinem Ruf nach vorgezogenen Wahlen den Lauf der Politik verändert. 2002 schadete er sich damit selbst, die MHP scheiterte an der Zehn-Prozent-Hürde, die neu gegründete AKP kam an die Regierung. 2015, als die AKP bei der Parlamentswahl die absolute Mehrheit verfehlte, verweigerte sich Bahçeli einer Koalition - ein zweiter, aufreibender Wahlkampf war die Folge.

Seinen durchschlagendsten Erfolg als Neuwahl-Auslöser hatte Bahçeli in dieser Woche. Am Dienstag forderte er, die für November 2019 angesetzten Parlaments- und Präsidentenwahlen müssten vorgezogen werden. Seine Worte leiteten eine politische Sturzgeburt ein, die allerdings verdächtig durchchoreografiert wirkte: Nach einem nur halbstündigen Gespräch mit Präsident Recep Tayyip Erdoğan am Mittwoch stand fest, dass die Türken schon am 24. Juni wählen sollen - obwohl Erdoğan dies stets ausgeschlossen hatte.

Die entsprechende Vorlage wanderte umgehend ins Parlament, wo sie am Freitag und Samstag debattiert und verabschiedet werden soll - aufgrund der Mehrheiten gilt dies als Formsache. Wenn das Wahlamt keine Einwände erhebt, wovon auszugehen ist, startet die Türkei in einen Turbo-Wahlkampf. Das war dann doch schneller, als es die kühnsten Analysten vorausgesehen hatten; die regierungskritische Zeitung Cumhuriyet verwendete für den Vorgang das hübsche Wort "Wahlüberfall", und Posta staunte: "Alles ist innerhalb von 28 Stunden passiert."

Gerüchte hatte es allerdings schon länger gegeben, und spätestens seit März war klar, dass sich Erdoğan und seine Partei in Stellung bringen. Da brachten AKP und MHP ein Gesetz durchs Parlament, das Parteienallianzen erlaubt, sodass sie praktischerweise gleich eine bilden konnten: die "Volksallianz". Nur im Verbund hat die AKP, die in Umfragen bei rund 40 Prozent liegt, eine Chance, auf eine absolute Mehrheit zu kommen. Die MHP ist als Teil der Allianz davor geschützt, mit weniger als zehn Prozent aus dem Parlament zu fliegen.

Der Ausnahmezustand wird dem Präsidenten helfen

Es ist das erste Mal, dass Präsidenten- und Parlamentswahlen zeitgleich stattfinden; das Doppelvotum soll den Wechsel von einem parlamentarischen zum Präsidialsystem besiegeln, der im April 2017 per Referendum beschlossen wurde.

Ob Erdoğan am 24. Juni gewinnt, hängt nun maßgeblich davon ab, ob sich die Opposition auf die Schnelle organisieren kann. Helfen wird dem Präsidenten, dass sich das Land weiter im Ausnahmezustand befindet, zudem kontrolliert die Regierung die meisten Medien. Trotzdem muss Erdoğan befürchten, dass sich in der zweiten Runde der Präsidentenwahl die Opposition hinter einem gemeinsamen Kandidaten schart. Nur - wer sollte das sein?

Zuletzt galt vor allem Meral Akşener von der Iyi Parti (Gute Partei) als Erdoğans gefährlichste Herausforderin. Die ehemalige MHP-Politikerin spricht eine ähnliche Wählergruppe an wie MHP und AKP, sie gilt nicht als übermäßig charismatisch, besitzt aber Härte und Erfahrung. Allerdings hat sie mit Problemen zu kämpfen: Zum einen wird sie es bei kurdischen Wählern schwer haben. In den Neunzigern, als der Konflikt im Südosten einen blutigen Höhepunkt erreichte, war Akşener Innenministerin; viele Kurden sehen in ihr die nationalistische Hardlinerin. Zweitens fehlt es ihrer erst im Herbst gegründeten Partei noch an Inhalten und Strukturen.

Zum Verhängnis könnte ihr der frühe Termin aber aus einem anderen Grund werden: Um zur Wahl zugelassen zu werden, muss eine Partei mindestens sechs Monate zuvor sämtliche Gründungsformalitäten erledigt haben. Im Falle der Iyi Parti gibt es Verwirrung darüber, wann dies geschehen ist. Eine Entscheidung muss das Wahlamt fällen. Akşener kündigte an, in jedem Fall als Präsidentschaftskandidatin antreten zu wollen, wofür laut Gesetz 100 000 Unterschriften von Unterstützern ausreichen.

Für die kemalistisch-sozialdemokratische CHP gilt Parteichef Kemal Kılıçdaroğlu als der wahrscheinlichste Kandidat. Aber er konnte in früheren Wahlen nur wenig Enthusiasmus entfachen. Je nach Umfrage liegen mal er, mal Akşener auf Platz zwei hinter Erdoğan.

Hartnäckig halten sich außerdem Gerüchte, wonach der frühere Staatspräsident und AKP-Mitgründer Abdullah Gül, der sich vor einigen Jahren mit Erdoğan überworfen hat, für die kleine islamische Saadet-Partei antreten könnte. Bisher hat sich Gül allerdings nicht öffentlich dazu geäußert.

Unklar ist, wer für die prokurdische HDP antreten, ob sich die Partei vielleicht sogar mit der CHP verbünden und ebenfalls eine Allianz bilden könnte. Wichtige Führungspersonen der HDP, auch der ehemalige Parteichef und Präsidentschaftskandidat Selahattin Demirtaş, sitzen im Gefängnis.

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