Süddeutsche Zeitung

Türkei:Erdoğan zeigt Kubicki wegen Verleumdung an

Der FDP-Politiker hatte die Flüchtlingspolitik des türkischen Präsidenten kritisiert und ihn als "kleine Kanalratte" bezeichnet. Dagegen geht nun sein Anwalt in Deutschland vor.

Von Kassian Stroh

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat den Bundestagsvizepräsidenten Wolfgang Kubicki angezeigt - wegen Beleidigung und Verleumdung. Das berichtet der Spiegel. Der FDP-Politiker hatte Erdoğan bei einem Wahlkampfauftritt in Hildesheim als "kleine Kanalratte" bezeichnet und in diesem Zusammenhang dessen Flüchtlingspolitik scharf kritisiert.

Dem Spiegel liegt nach eigenen Angaben ein siebenseitiges Schreiben vor, das der Kölner Rechtsanwalt Mustafa Kaplan am Donnerstag in Erdoğans Namen an die Staatsanwaltschaft Hildesheim geschickt hat. Darin stelle er Strafanzeige gegen Kubicki und außerdem Strafantrag wegen Beleidigung und Verleumdung. Kaplan schreibe, die Bezeichnung "Kanalratte" müsse man so verstehen, dass Erdoğan ein Mensch sei, "der als sittlich verwahrlost, moralisch heruntergekommen und Ekel hervorrufend angesehen wird". Es gehe Kubicki nicht um sachliche Kritik, sondern nur um Diffamierung.

Verschärfend komme hinzu, dass dieser Ausdruck für Erdoğan "aus religiösen Gründen" schwer hinzunehmen sei. Im Übrigen habe Kubicki dem Präsidenten indirekt unterstellt, Flüchtende als Druckmittel gegen den Westen einzusetzen. Das sei nachweislich unwahr. Kaplan bestätigte den Spiegel-Bericht, Kubicki sieht der juristischen Auseinandersetzung nach eigenem Bekunden gelassen entgegen.

Kubickis Äußerung fiel auf einer Wahlkampfveranstaltung in Hildesheim, in Niedersachsen wird am übernächsten Sonntag ein neuer Landtag gewählt. Der FDP-Politiker bestätigte sie später und argumentierte: "Eine Kanalratte ist ein kleines, niedliches, gleichwohl kluges und verschlagenes Wesen, weshalb sie auch in Kindergeschichten als Protagonistin auftritt." Dabei verwies Kubicki auf das Spiel "Kalle Kanalratte" und den Film "Ratatouille", was Erdoğans Anwalt als Schutzbehauptung wertet.

Das türkische Außenministerium hatte am Dienstag deshalb den den deutschen Botschafter in Ankara einbestellt. Ihm sei der "starke" Protest der Regierung übermittelt worden, sagte ein Ministeriumssprecher. Kubicki fehle es "vollständig an politischer Moral und Verantwortung", seine Äußerungen offenbarten "seine Vulgarität". Das Auswärtige Amt in Berlin wollte den Vorgang nicht kommentieren, ließ aber grundsätzlich mitteilen, dass "unser Umgang mit Repräsentanten anderer Staaten respektvoll" sein müsse. Dies erwarte man auch von Anderen.

Auch Jan Böhmermann war von Erdoğan angezeigt worden

Der Bundestags-Vize wiederum verknüpfte seine Kritik mit der türkischen Flüchtlingspolitik. Erdoğan habe für sein Land einen "vorteilhaften Deal mit der Europäischen Union zur Reduzierung der Flüchtlingszahlen abgeschlossen". Danach habe die Türkei Milliarden Euro dafür erhalten, dass sie Flüchtlingen den Weg nach Europa versperrte. "Gleichwohl müssen wir sehen, dass die Flüchtlingswelle über die Balkanroute wieder zunimmt, was erneut Herausforderungen für die deutsche Außen- und Innenpolitik mit sich bringt", sagte Kubicki.

Es ist nicht die erste Anzeige Erdoğans in Deutschland. Vor sechs Jahren war er gegen den deutschen TV-Satiriker Jan Böhmermann vorgegangen, der im Fernsehen ein Schmähgedicht auf Erdoğan deklamiert hatte. Seine Anzeige, damals wegen des inzwischen gestrichenen Straftatbestands der Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten, blieb ohne Erfolg. Das Bundesverfassungsgericht wies im Februar jedoch Böhmermanns Beschwerde ab gegen Gerichtsurteile, die ihm die Wiederholung jener Aussagen verboten hatten.

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