Eine politische Erklärung von mehr als einhundert ehemaligen Admiralen hält die Türkei in Atem. Die 104 pensionierten Offiziere der Kriegsmarine hatten vor der Gefahr gewarnt, dass die Politik von Präsident Recep Tayyip Erdoğan das "Montreux-Abkommen" gefährde; der Vertrag regelt seit mehr als 80 Jahren die internationale Schifffahrt im Bosporus und an den Dardanellen. Die Justiz erhob anschließend den Vorwurf der Gefährdung der Staatssicherheit und rückte die 104 Ex-Offiziere in die Nähe von Putschisten. Zehn der Ex-Admirale wurden festgenommen, vier weitere von der Staatsanwaltschaft vernommen. Erdoğan selbst bekannte sich am Sonntag zum Montreux-Abkommen. Er kenne die Vorteile des Abkommens für die Türkei, sagte er.
Hintergrund der Erklärung der Marineoffiziere ist der Plan von Präsident Erdoğan, parallel zum Bosporus einen gigantischen Schifffahrtskanal zu bauen. Diese Pläne selbst sind zwar älter, sie haben aber in den vergangenen Wochen konkrete Formen angenommen. Laut Erdoğan soll der von der internationalen Schifffahrt stark frequentierte Bosporus durch den Kanal entlastet und so die Gefahr umweltgefährdender Havarien der riesigen Tanker und Frachtschiffe gesenkt werden, die den Bosporus täglich passieren.
Das Montreux-Abkommen regelt seit 1936 die Durchfahrt durch den Bosporus
Nachdem der Staatspräsident jüngst in eigener Regie den Austritt aus der Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen verkündet hatte, kam im Zusammenhang mit den Plänen für den Kanal jetzt die Frage auf, ob die Türkei auch das Montreux-Abkommen aufkündigen könne. Die 104 Seeoffiziere hatten angesichts der neu aufgeflammten Debatte über den Kanal ihre Erklärung veröffentlicht, in der sie vor einem Austritt aus dem Montreux-Vertrag warnen, weil dies die türkische Souveränität über die Meerengen der Dardanellen und des Bosporus gefährden könnte.
Der Pakt aus dem Jahr 1936 regelt die Durchfahrt durch den Bosporus und die Dardanellen - also die Meerengen zwischen dem Schwarzen Meer und dem Mittelmeer. Das Abkommen ist Grundlage des Schiffsverkehrs auf einer der wichtigsten internationalen Wasserstraßen und betrifft die zivile und die militärische Seefahrt.
Der Vertrag gab der Türkei die Souveränität über den Bosporus, das Marmarameer und die Dardanellen zurück: Das Osmanische Reich als der Vorgängerstaat der Republik Türkei hatte die Herrschaft über die Wasserstraße verloren, nachdem es an der Seite Deutschlands den Ersten Weltkrieg verloren hatte.
Erdoğan nennt die alternative Wasserstraße "mein verrücktestes Projekt"
Laut dem Montreux-Abkommen ist für Handelsschiffe in Friedenszeiten die freie Durchfahrt garantiert. Für Kriegsschiffe gelten andere Regeln: Schiffe der Anrainerstaaten des Schwarzen Meeres dürfen passieren. Kriegsschiffe von Nichtanrainern dürfen den Bosporus nur bis zu einer bestimmten Größe durchfahren und nur kurz im Schwarzmeer bleiben.
Erdoğan will eine alternative Wasserstraße zum Bosporus bauen lassen. Der "Kanal Istanbul" gilt als Prestigeprojekt, der Präsident selbst nannte es "mein verrücktestes Projekt". Umweltschützer warnen, dass der Kanal desaströse Umweltschäden nach sich ziehen würde. Der Kanal hätte nach Angaben von Erdoğans Büro aber keine Auswirkungen auf das Montreux-Abkommen.
Hintergrund des harten Vorgehens der Justiz dürfte neben der von der Regierung unerwünschten Kritik am Kanal auch sein, dass Erdoğan die Streitkräfte seit dem gescheiterten Putsch von 2016 von den letzten Kemalisten säubert. Die Streitkräfte waren früher die Bastion der Kemalisten und Säkularisten, die sich auf die Ideologie des Staatsgründers Kemal Atatürk berufen und Erdoğans islamistisch geprägte Politik ablehnen.
Ein Rechtsanwalt der festgenommenen Offiziere erklärte, das Schreiben der Admiräle "unterscheidet sich nicht von früheren Veröffentlichungen ehemaliger Diplomaten". Unter den Festgenommenen ist auch der prominente Admiral Cem Gürdeniz, der die geopolitische Theorie "Blaues Heimatland" entwickelt hat, die Grundlage für das aggressive Vorgehen der Türkei im Mittelmeer ist.