Die Beziehungen zwischen der EU und der Türkei sind nicht zuletzt nach den jüngsten Verhaftungswellen mehr als angeknackst. Neben besorgten Stellungnahmen bleibt der Union vor allem der immer ferner rückende EU-Beitritt der Türken, um Präsidenten Erdoğan noch im Zaum zu halten.
Der nutzt genau dieses Mittel, um Brüssel zu kontern: Er droht in der Zeitung Hürriyet mit einem Referendum über den EU-Beitrittsprozess. "Die Europäische Union versucht uns dazu zu bringen, dass wir uns aus dem Prozess zurückziehen. Wenn sie uns nicht wollen, sollen sie das klar sagen und beschließen", sagte Erdoğan. Die Geduld Ankaras sei "nicht unendlich". Wenn es notwendig sei, könne auch die Türkei ein Referendum abhalten - so wie Großbritannien im Juni über den Ausstieg aus der EU. Natürlich ist die Ausgangslage eine andere, schließlich sind die Türken anders als die Briten noch gar kein Mitglied. Doch es passt zu Erdoğans gern wiederholter Ansage, dass die Türkei die EU gar nicht brauche. Und sie sich daher auch nichts vorschreiben lasse. Schon im Juni beschwerte er sich, dass die Europäer nicht vertrauenswürdig seien. Und brachte schon damals eine Volksbefragung ins Spiel.
Türkei:Erdoğan ist taub für jede Kritik
Die internationale Empörung ist dem türkischen Präsidenten egal. Er kann schalten und walten, Europa ist weitgehend machtlos.
Erdoğan "soll sich mäßigen"
Dass er nun wieder damit droht, liegt wohl auch daran, dass führende EU-Politiker den Druck auf ihn erneut erhöhten. So forderte EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) den türkischen Präsidenten in der Welt am Sonntag zur Mäßigung auf: "Ich erwarte von Präsident Erdoğan, dass die Instrumente zur Terrorabwehr in der Türkei, die durchaus ihre Berechtigung haben, nicht so missbraucht werden, dass es unschuldige Menschen trifft und rechtsstaatliche Grundsätze immer wieder verletzt werden." Und er betonte: "Ich gehe nicht davon aus, dass die Türkei noch in diesem Jahr die Visafreiheit erhalten wird." Das visafreie Reisen für Türken in die EU war im Flüchtlingspakt mit Ankara vom März vorgesehen.
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) sieht in der Einführung der Todesstrafe die rote Linie für Beitrittsverhandlungen. "Wenn die Türkei die Todesstrafe wieder einführen würde, wären die Beitrittsverhandlungen beendet", sagte Schulz der Bild am Sonntag. Er hoffe aber, dass das nicht nötig sei. "Wenn wir die Beziehungen zur Türkei abbrechen, haben wir keine Möglichkeiten mehr, der Opposition und den Gefangenen zu helfen." Die EU-Außenminister beraten am Montag die Lage in der Türkei.
Erdoğans islamisch-konservativer Regierung wird vorgeworfen, ohne Rücksicht auf rechtsstaatliche Grundsätze mit aller Härte gegen Regierungskritiker vorzugehen. Allein seit dem gescheiterten Putschversuch Mitte Juli wurden zehntausende vermeintliche Regierungsgegner festgenommen oder vom Dienst suspendiert. Zuletzt hatte eine Festnahmewelle gegen Journalisten der Oppositionszeitung Cumhuriyet und gegen führende Vertreter der kurdischen Opposition in Europa für Empörung gesorgt.