Türkei:Erdoğan droht, den Flüchtlingsdeal mit der EU platzen zu lassen

Recep Tayyip Erdogan

"Wir gehen unseren Weg": Der türkische Präsident Erdoğan wies am Freitag Forderungen der EU nach neuen Anti-Terror-Gesetzen mit klaren Worten zurück.

(Foto: Lefteris Pitarakis/AP)
  • Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan stellt die Zusammenarbeit mit der EU offen infrage.
  • Nach dem Rückzug von Premier Ahmet Davutoğlu erklärt er, die türkischen Terrorgesetze nicht - wie von der EU gewünscht - ändern zu wollen.
  • Damit droht der Flüchtlingsdeal zwischen der Türkei und der EU zu platzen.

Von Mike Szymanski, Istanbul

Nur einen Tag nach dem angekündigten Rückzug des türkischen Premiers Ahmet Davutoğlu rückt Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan mit der Türkei ein Stück von Europa ab. Bei einem Auftritt in Istanbul nahm er am Freitag einen Streit mit der Europäischen Union über die türkischen Anti-Terror-Gesetze zum Anlass, die Zusammenarbeit mit der EU offen infrage zu stellen. "Die EU möchte, dass wir unsere Terrorgesetze ändern. Das erwartet sie von einem Land, das sich im Kampf gegen den Terror befindet", sagte Erdoğan und fügte hinzu: "Geh' deinen Weg. Wir gehen unseren Weg."

Die Reform des Anti-Terror-Gesetzes ist eine der wenigen noch verbliebenen Voraussetzungen, damit die EU die Visapflicht für Türken abschafft. Erst am Mittwoch hatte die EU diesen Schritt empfohlen. Sie war Ankara weit entgegengekommen, weil die Türkei noch nicht alle 72 dafür nötigen Kriterien erfüllt hat. Scheitert aber die Visa-Freiheit, ist auch der umfassende Flüchtlingspakt zwischen der EU und der Türkei in Gefahr. Im Gegenzug für Milliardenhilfen aus Brüssel, die Visa-Freiheit und Annäherungen im zähen Beitrittsprozess hatte sich die Türkei verpflichtet, Flüchtlinge aus Europa zurückzunehmen und die Grenzen besser zu schützen.

Davutoğlu stand nicht hinter den Plänen Erdoğans zur Einführung des Präsidialsystems

Vor Erdoğan hatte Europa-Minister Volkan Bozkır es abgelehnt, den Forderungen aus Brüssel nachzukommen: "Angesichts des intensiven Kampfes gegen den Terrorismus können wir uns nicht den Luxus erlauben, diese Änderungen vorzunehmen." Die türkische Armee liefert sich seit Monaten heftige Gefechte mit kurdischen Kämpfern der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Zugleich verfolgt Ankara Anhänger des sogenannten Islamischen Staates (IS). In den vergangenen Monaten kam es zu zahlreichen Terroranschlägen, unter anderem in Istanbul und Ankara, bei denen etwa 200 Menschen ums Leben gekommen sind.

Die harsche Kritik Erdoğans und des Europaministers kommt unmittelbar nachdem Erdoğan seinen Premierminister Davutoğlu zum Rückzug aus dessen Spitzenämtern gedrängt hatte. Wie es in der AKP hieß, habe sich Davutoğlu zu viele Alleingänge erlaubt und hinter den Kulissen gegen Erdoğan opponiert.

Bei einem Sonderparteitag der alleinregierenden AKP am 22. Mai wird Davutoğlu den Posten des Parteichefs abgeben. Regierungschef kann er auch nicht bleiben.

Erdoğan will ein Präsidialsystem durchsetzen

Davutoğlu hatte den Flüchtlingspakt mit der EU ausgehandelt. Obwohl er ohne Zustimmung Erdoğans nicht zustande gekommen wäre, äußerte der Staatspräsident in jüngster Zeit seine Unzufriedenheit über einzelne Vereinbarungen. Das Ende der Visa-Pflicht komme nur wenige Monate früher als ohnehin vereinbart. Ankara hatte wiederholt damit gedroht, den Flüchtlingsdeal platzen zu lassen, sollte Europa seinen Verpflichtungen nicht nachkommen.

Davutoğlu galt den Europäern trotz aller Schwierigkeiten als moderater und zuverlässiger Ansprechpartner, der an einer Lösung der Flüchtlingskrise und einer Annäherung der Türkei an die EU interessiert sei. Davutoğlu war auch kein leidenschaftlicher Verfechter des von Erdoğan angestrebten Umbaus der politischen Spitze des Landes zu einem Präsidialsystem. Der Staatspräsident will seine Machtbasis ausbauen. Allerdings fehlt der AKP im Parlament die erforderliche Mehrheit, um entweder seinen Vorschlag der Bevölkerung in einem Referendum vorzulegen oder die Verfassung zu ändern. Davutoğlu hatte diesen Wunsch Erdoğans immer nur halbherzig verfolgt. Bei seinem Auftritt am Freitag zeigte sich der Staatspräsident entschlossen, seine Idee umzusetzen: "Wir sind an einem Punkt angekommen, an dem es kein Zurück gibt. Das soll jeder akzeptieren."

Kandidat für Nachfolge Davutoğlus steht noch nicht fest

Niemand brauche Angst haben, sagte Erdoğan. Er wolle das Konzept für ein Präsidialsystem dem Volk zur Abstimmung vorlegen. Im Parlament hingegen ist dem Präsidenten die erforderliche Mehrheit nicht sicher. In Europa gibt es Beispiele für Präsidialsysteme, das französische Modell wird in der Türkei immer mal wieder als mögliche Blaupause genannt. Da Erdoğan aber zu einem immer stärker autoritären Regierungsstil übergeht, wächst im Westen die Sorge über ein System, das noch mehr Macht in den Händen Erdoğans bündeln würde.

In AKP-Kreisen gilt es als ausgemacht, dass Davutoğlus Abgang bereits dazu genutzt werden soll, an der Spitze der Regierung einen eher schwachen Kandidaten zu installieren. Die Zeitung Hürriyet zitiert den AKP-Abgeordneten Aydın Ünal mit den Worten: "Es läuft nicht mit einem starken Staatspräsidenten und einem starken Premier." Am Freitag schien noch nicht klar zu sein, wer Davutoğlus Nachfolge antreten soll. Es werde aber nur einen einzigen Kandidaten geben, hieß es.

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