Türkei:Erdoğans Opposition zerlegt sich

Türkei: Meral Akşener spricht zu Anhängern

Auf verlorenem Posten: Die türkische Oppositionspolitikerin Meral Akşener spricht zu Anhängern.

(Foto: Chris McGrath/Getty Images)
  • Vor den Wahlen im Juni hatte die türkische Opposition eine erstaunliche Allianz gebildet, um gegen Präsident Erdoğan und seine AKP zu bestehen.
  • Doch Erdoğan siegte und nun zerbröselt die Opposition.
  • Aus der rechten İyi-Partei treten die Mitglieder in Scharen aus, die altehrwürdige CHP wird von einem Führungsstreit zerrieben. Und auch die prokurdische HDP ringt um ihre Parteilinie - kein Leichtes, wenn die wichtigsten Kopfe im Gefängnis sitzen.

Von Luisa Seeling

Von Niedergang zu sprechen, wäre untertrieben. Was sich in den vergangenen Wochen in den Reihen der türkischen Opposition abgespielt hat, lässt sich als totale Implosion beschreiben.

Auf eine besonders hübsche Formel bringt es der Politologe Selim Sazak im US-Magazin Foreign Policy: "Die türkische Opposition hat erst gegen Erdoğan und dann den Verstand verloren", steht über seinem Beitrag. Das ist höchstens ein kleines bisschen übertrieben. Denn tatsächlich zerlegen und beharken sich die wichtigsten oppositionellen Parteien derzeit in einer Weise, die so gar nichts mehr zu tun hat mit ihrem überraschend kraftvollen Auftreten im Wahlkampf.

Damals, in den Wochen vor dem 24. Juni, hatte sich eine erstaunliche Allianz aus Säkularen, Nationalisten, Liberalen und Konservativen gebildet. Vier Parteien rauften sich zusammen, um gemeinsam eine Chance gegen Präsident Recep Tayyip Erdoğan und seine AKP zu haben: Republikanische Volkspartei (CHP), die rechte İyi-Partei sowie zwei Kleinstparteien, eine davon mit stark religiösem Profil. Die prokurdische HDP war formal nicht Teil dieses Bündnisses, gehörte aber doch zu der breiten Front, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, Erdoğan auf dem Weg zur präsidialen Alleinherrschaft zu stoppen.

Umfragen sagten ein knappes Rennen voraus. Am Ende reichte es nicht. Es kam nicht einmal zur Stichwahl um das Präsidentenamt, Erdoğan siegte mit gut 52 Prozent in der ersten Runde. Und was die AKP im Parlament an Sitzen verlor, glich ihr rechtsnationaler Bündnispartner MHP durch sein unerwartet gutes Abschneiden aus. Die oppositionelle Einheitsfront fiel so schnell auseinander, wie sie sich gebildet hatte, in CHP und İyi-Partei brachen Machtkämpfe aus.

In Scharen treten die Menschen aus der İyi aus

Gerade auf der İyi-Partei hatten viele Hoffnungen geruht. Abtrünnige MHP-Abgeordnete gründeten sie 2015, weil sie die von Parteichef Devlet Bahçeli vorangetriebene Annäherung an Erdoğans AKP nicht mittragen wollten. Die frühere Innenministerin Meral Akşener hatte die Meuterei in der MHP damals angeführt, sie wollte die İyi-Partei als rechte, Erdoğan-kritische Alternative zur MHP positionieren. Das aber misslang, die İyi-Partei kam nur auf etwas mehr als neun Prozent, Akşener auf magere 7,3 Prozent der Stimmen.

Nun rächt sich auch, dass Akşener viele Mitstreiter verärgerte, indem sie diese auf aussichtslosen Listenplätzen ins Rennen schickte; in Scharen treten sie aus der İyi aus, auch Gründungsmitglieder. Akşener reagierte auf die Kritik an ihrer Führung zunächst mit der Ankündigung, den Parteivorsitz abzugeben, nur um die Frage dann doch offenzulassen. Ob die İyi-Partei auch ohne ihr prominentestes Gesicht eine Zukunft hätte, ist fraglich.

Regierungstreue Medien berichten mit quasi genüsslicher Zurückhaltung

Nicht besser steht es um die altehrwürdige CHP, älteste Partei des Landes. Seit 2010 ist Kemal Kılıçdaroğlu ihr Vorsitzender, neun Wahlniederlagen gegen die AKP hat die Partei in dieser Zeit eingefahren. Schon mehrmals gab es Versuche, Kılıçdaroğlu von der Parteispitze zu verdrängen, angeführt von Muharrem İnce, der im Juni für die CHP als Präsidentschaftskandidat antrat.

İnce machte eine gute Figur im Wahlkampf und kam mit fast 31 Prozent der Stimmen auf ein besseres Ergebnis als seine Partei, weshalb seine Anhänger hofften, die Ablösung Kılıçdaroğlus könne endlich gelingen. Der aber klammert sich mit verblüffender Hartnäckigkeit an seinen Posten, und İnce ist in der Partei keineswegs unumstritten.

So werfen ihm viele vor, entgegen seinem Versprechen nicht "bis zum bitteren Ende" gekämpft zu haben in der Wahlnacht. İnce hatte relativ früh in einer Whatsapp-Nachricht an einen Journalisten eingeräumt, "der Mann" - Erdoğan - habe gewonnen. Zu früh, fanden viele, zu dem Zeitpunkt sei das Ergebnis noch gar nicht klar gewesen.

In den vergangenen Wochen hat İnce Unterschriften gesammelt, um die CHP-Delegierten auf einem außerordentlichen Parteitag über einen Führungswechsel abstimmen zu lassen. Wie viele zulässige Unterschriften bis zum Stichtag am Montag zusammenkamen, ist umstritten. Nach Ansicht des Kılıçdaroğlu-Lagers sind es zu wenig, İnces Anhänger widersprechen. Einige von ihnen traten am Montag vor ihrer Parteizentrale in den Sitzstreik. Sie fordern, der Parteitag müsse in jedem Fall stattfinden.

Die Lage der prokurdischen HDP komplettiert das düstere Bild

Regierungsfreundliche Medien berichten über all das mit fast schon zurückhaltender Genüsslichkeit. Es ist ja auch zu schön: Nicht nur hat die Opposition die Wahl gegen Erdoğan verloren, nun demontiert sie sich sogar selbst und verschlechtert so ihre Ausgangsposition für die Kommunalwahl im März.

Die Lage bei der prokurdischen HDP komplettiert das düstere Bild. Dort tobt der Streit nicht ganz so hässlich, um die Parteilinie wird aber durchaus gerungen. Den Widerspruch zwischen progressiven Inhalten, die auch junge, urbane, nicht-kurdische Wähler ansprechen sollen, und kurdischem Nationalismus hat die Partei bisher nicht sinnvoll auflösen können. Es ist allerdings auch nicht so einfach, Inhalte zu diskutieren, wenn die wichtigsten Köpfe der Partei auf unbestimmte Zeit in Haft sitzen.

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