Der Prozesstermin stand schon fest: Am kommenden Montag sollten vier Studenten der Technischen Universität Ankara, angeklagt wegen Beleidigung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan, vor Gericht erscheinen. Ihnen drohten Haftstrafen von einem bis zu vier Jahren. Die Studenten hatten bei der Abschlusszeremonie der staatlichen Universität am 6. Juli große Plakate getragen, mit einer in der Türkei schon seit 13 Jahren ziemlich bekannten Karikatur. Sie trägt den Titel "Tayyips Universum": Zu sehen sind mehrere Tiere - Elefant, Giraffe, Kuh, Ente, Frosch - alle mit Gesichtszügen Recep Tayyip Erdoğans. 2005 war der Cartoon das Titelbild des türkischen Satiremagazins Penguen - dieses gibt es nicht mehr, die letzte Ausgabe erschien im Frühjahr 2017.
Ein Prozess wäre zu einer Herausforderung für die türkische Justiz geworden
Elf Studenten wurden nach der Zeremonie vorübergehend festgenommen, vier angeklagt. Nun hat Erdoğan sie zum Tee in seinen Palast eingeladen - und sie "amnestiert", wie der Sprecher der Regierungspartei AKP, Ömer Çelik, mitteilte. 45 Minuten dauerte die Teezeremonie, wusste Hürriyet am Mittwoch zu berichten, sie sei in "freundlicher Atmosphäre" abgelaufen. Erdoğans Anwälte hätten die Familien der Studenten kontaktiert, hieß es. Man habe sich erkundigt, was die Studenten sonst so gemacht hätten, an welchen wissenschaftlichen Projekten sie gearbeitet hätten, und habe dabei herausgefunden, dass einer einen Preis gewonnen habe, sagte Çelik. Die TU in Ankara gehört zu den renommiertesten Universitäten der Türkei. Erdoğan werde seine Klage zurückziehen, sagte Çelik.
Die Anwältin Aslı Kazan begrüßte diese Entscheidung, sie sagte aber auch, was Meinungsfreiheit ist, dürfe nicht von Erdoğans Willkür abhängen. Nach dem Erscheinen der Karikatur im Jahr 2005 hatte Erdoğan, zu dieser Zeit noch Premier, das Magazin Penguen verklagt. Ein Gericht in Ankara entschied damals aber, der Cartoon falle unter die Pressefreiheit. Ein neuer Prozess wäre daher auch zu einer Herausforderung für die Justiz geworden.
Die regierungsnahe Zeitung Sabah berichtete noch, Erdoğan wolle nun andere seiner Kritiker kontaktieren und mit ihnen sprechen, darunter auch Prominente. Aus Solidarität mit den Studenten hatte Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu die Karikatur über seinen Twitteraccount verbreitet. Das trug ihm ein Ermittlungsverfahren wegen Präsidentenbeleidigung ein. Ob das nun ebenfalls eingestellt wird, ist nicht bekannt.