Türkei:Elefant im Porzellanladen

Auch wenn die Türkei den Besuch von Omar al-Baschir abwenden konnte: Regierungschef Erdogan macht Ankaras neue Außenpolitik gerade zum Scherbenhaufen.

Kai Strittmatter

Egal, ob man unter Diplomatie nun umgangssprachlich Feingefühl versteht, oder weltpolitisch das Geschick, im außenpolitischen Getümmel die Interessen des eigenen Landes zu befördern - in beiderlei Hinsicht waren die vergangenen Tage für die Türkei eine Katastrophe.

Türkei: Leistete sich bizarre Entgleisungen: Premier Tayyip Erdogan.

Leistete sich bizarre Entgleisungen: Premier Tayyip Erdogan.

(Foto: Foto: AFP)

Zuerst die gute Nachricht: Omar al-Baschir, vom Internationalen Strafgerichtshof mit Haftbefehl gesuchter mutmaßlicher Kriegsverbrecher, sah sich gezwungen, seine Türkeireise abzublasen.

Nun die schlechte: Als die Nachricht kam, da hatte Ankara schon so viel Porzellan zerschlagen, dass die Fassungslosigkeit bei vielen Beobachtern noch lange nicht der Erleichterung Platz machen wird.

Es wäre so einfach gewesen: Die Türkei hätte Baschir im Vorfeld diskret klarmachen können, dass seine Einreise nicht erwünscht ist. Stattdessen stellte sie lautstark klar, dass sie Sudans Staatschef auf keinen Fall verhaften werde. Dann blaffte Präsident Abdullah Gül die Europäer an, was sie das überhaupt anginge.

Und schließlich leistete sich Premier Tayyip Erdogan eine seiner bizarren Entgleisungen, als er verkündete, was immer in der sudanesischen Provinz Darfur geschehen sei, es könne schon deshalb unmöglich Völkermord sein, weil Muslime generell unfähig zum Völkermord seien. Auch in der Türkei reagierten viele entgeistert. "Wir schämen uns", titelte die Zeitung Radikal.

Es gibt nur wenige Länder, die so gut darin sind, sich selbst immer wieder ein Bein zu stellen, wie die Türkei. Eigentlich nämlich ist die Außenpolitik ein dicker Pluspunkt in der Bilanz der Regierung Erdogan. Die historische Annäherung an Armenien und an die Kurden im Nordirak, die neue Freundschaft mit Bagdad und mit den Syrern, die Vermittlerrolle im Kaukasus, die neuen starken Bande mit Afghanistan und Pakistan: Ankaras Doktrin der "null Probleme mit allen Nachbarn" hat schon erstaunliche Ergebnisse gezeitigt.

Anders als viele Gegner Erdogans unken, bedeuten die neuen Bande zu den muslimischen Ländern der Region keineswegs ein Wegdriften vom Westen, es ist nichts anderes als die längst fällige Wiederentdeckung der alten Nachbarschaft, die man jahrzehntelang ignoriert hatte - und wenn überhaupt, dann macht diese neue Außenpolitik die Türkei noch wertvoller für die EU. Nein, die Türkei will auch unter Erdogan nicht mit dem Westen brechen.

Die Türkei ist institutionell fest im Westen verankert und weiß, dass sie allein wegen ihrer EU-Perspektive eine starke Rolle im Nahen Osten spielen kann. Natürlich kann es im Interesse eines Landes und der Stabilität einer Region liegen, auch Kontakte zu diktatorischen Regimen zu pflegen. Iran ist für die Türkei so ein Beispiel. Aber schon in diesem Fall darf man sich streiten, wie eng die Umarmungen sein dürfen.

Im Falle von Baschir aber hat die Türkei ohne Not die Bereitschaft in die Welt posaunt, Grenzen zu überschreiten, die sie hätte respektieren müssen. Weil es die Moral gebietet. Aber auch das pure Eigeninteresse. Die Türkei ist EU-Beitrittskandidat und damit schon jetzt auf die außenpolitischen Werte der EU verpflichtet. Sie ist Mitglied im UN-Sicherheitsrat. Und als solches gehalten, die Beschlüsse aus Den Haag zu respektieren. Premier Erdogan hat selbst mit seiner scharfen Kritik an Israels Tötungen unschuldiger Zivilisten im Gaza-Krieg Ethik zum Maßstab der Außenpolitik erhoben.Seine Blindheit den Toten in Darfur gegenüber entlarvt eine Doppelmoral.

Erdogans Aussage, Muslime könnten qua ihres Glaubens nie zu Völkermördern werden, ist entweder selbstgerechte Ignoranz oder aber geschmacklose Demagogie. Diplomatie, das ist auch die Politik der Schadensbegrenzung. Für die türkische Regierung gäbe es nun einen so einfachen wie starken Schritt: Sie soll endlich das Rom-Statut unterzeichnen und damit den Internationalen Strafgerichtshof anerkennen. So, wie es Premier Erdogan schon 2004 versprochen hat.

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