Am 21. Juli, wenige Tage nach dem Putschversuch, trat in der Türkei der Ausnahmezustand in Kraft. Am 3. Oktober wurde er um drei weitere Monate verlängert. Der Menschenrechtskommissar des Europarates, Nils Muižnieks, nahm das mit Besorgnis zur Kenntnis. Während des Ausnahmezustands sind Teile der Europäischen Menschenrechtskonvention, der auch die Türkei beigetreten ist, ausgesetzt. Die Regierung kann per Gesetzesdekreten regieren.
Folter und Willkür sind deshalb aber noch lange nicht erlaubt. Doch genau das wird der Türkei vorgeworfen. Angehörige von Inhaftierten berichten, dass ihnen der Besuch verweigert würde. Anwälte werden nicht zu ihren Mandanten vorgelassen. Türkische Journalisten berichten, dass in den Gefängnissen "die alten Foltermethoden zurück sind".
Mehr als tausend Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften und Medienunternehmen sind Muižnieks zufolge aufgelöst oder geschlossen worden - und das ohne gerichtliche Verfahren. Von der Medienlandschaft der Türkei sind nur noch Bruchstücke übrig. Selbst Kindersender wurden vom Netz genommen.
Klar ist: Knapp drei Monate nach dem Putschversuch ist die Türkei nicht mehr dasselbe Land wie zuvor. Doch wie geht es nun weiter? An diesem Mittwoch spricht der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu bei der Parlamentarischen Versammlung des Europarats über die Situation in dem Land. Dem Ausnahmezustand zum Trotz spricht die türkische Regierung gerne von der Rückkehr zur Demokratie. Und das wäre auch notwendig.
Die Verwaltung hat uneingeschränkte Verfügungsgewalt
Menschenrechtskommissar Muižnieks hat sich bei einem Besuch in Ankara im September ein eigenes Bild von der Lage der Türkei seit Einführung des Ausnahmezustands gemacht. Mit Demokratie hat das eher weniger zu tun.
Während Muižnieks anerkennt, dass die Erklärung des Ausnahmezustands nach dem Putschversuch "natürlich und notwendig" gewesen sei, kritisiert er, dass es im Zuge der Erlasse zu "signifikanten Abweichungen von üblichen verfahrenstechnischen Garantien, sowohl was das Verwaltungsrecht als auch was das Strafrecht angeht", gekommen sei. Übersetzt heißt das: Die türkischen Behörden setzen sich bei der Verfolgung mutmaßlicher Putsch-Verantwortlicher und -beteiligter über rechtsstaatliche Prinzipien hinweg.
Muižnieks führt an, dass die Dekrete sich umfassend auf die Zivilgesellschaft, private Schulen, medizinische Einrichtungen, die Medien- und Geschäftswelt ausgewirkt hätten. Und eben nicht, wie von der türkischen Regierung behauptet, allein auf die staatlichen Einrichtungen abzielten. Die Menschenrechte einer großen Anzahl an Personen seien massiv beschnitten worden. Eine Serie von Notstandsdekreten, die seit Juli verabschiedet worden seien, statteten die Verwaltung mit uneingeschränkter Verfügungsgewalt aus. Hier bestehe die Gefahr der Willkür.
Während seines Besuches Ende September seien 31 844 Menschen wegen Verdachts auf Mitwirkung am Putschversuch inhaftiert gewesen, darunter mindestens 100 Journalisten. Wie viele Menschen seit dem 15. Juli entlassen oder suspendiert wurden, konnten dem Kommissar auch die türkischen Behörden nicht genau sagen. Schätzungen gehen von etwa 100 000 aus, darunter Lehrer ebenso wie Soldaten und Richter.