Türkei:Die Revanche des Recep Tayyip Erdoğan

Der türkische Präsident Erdoğan

Der türkische Präsident Erdoğan versucht, die Kurde-Partei HDP in die Nähe von Terroristen zu rücken.

(Foto: AP)
  • Staatspräsident Erdoğan und die türkische Regierung rücken die Kurdenpartei HDP in die Nähe von Terroristen.
  • Sie wollen die Partei damit für mögliche Neuwahlen diskreditieren.
  • Der charismatische Chef der HDP, Selahattin Demirtaş, versucht, sich mit einer Strategie der Offenheit zu wehren, doch die Situation ist schwierig.

Von Mike Szymanski, Istanbul

Anders sein, anders reagieren als erwartet - vielleicht hilft das Selahattin Demirtaş auch jetzt, in diesen wirklich schwierigen Tagen. Es hat dem 40-jährigen Anführer der Kurdenpartei HDP schon so oft geholfen. Er führte seinen Wahlkampf in der Türkei mit Charme, mit Witz und viel Leichtigkeit. Ganz anders als Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan, der sich verbissen an die Macht klammerte. So bezwang Demirtaş Erdoğan und die regierende AKP bei der Wahl am 7. Juni.

Verrückte Zeiten in der Türkei: Die Macht der AKP schien schon gebrochen zu sein, der Aufstieg der HDP als einflussreiche politische Kraft der Kurden nicht mehr aufzuhalten sein. Ein paar Tage nur haben jetzt wieder alles verändert.

Der türkische Präsident will die Kurdenpartei HDP kriminalisieren

Die Türkei führt Krieg gegen die Extremisten des Islamischen Staates. Und sie führt auch wieder Krieg gegen die Kurden, deren Interessen die HDP im Parlament vertreten wollte. Mit Kampfflugzeugen und Soldaten versucht die Regierung, die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK zurückzudrängen. In der Nacht zum Mittwoch flogen F-16-Jets die schwersten Angriffe gegen Stellungen der PKK seit Beginn der Offensive vor knapp einer Woche.

Und mit juristischen Mitteln will sie gegen die HDP vorgehen, die sie insgeheim für den Verlust ihrer Macht verantwortlich macht. Erdoğan hat noch nicht aufgegeben. Gut möglich, dass es im Herbst zu Neuwahlen kommt. Die Regierungsbildung stockt.

Erdoğan will die HDP nicht verbieten, das beteuert er zumindest. Aber er unternimmt alles, um die Kurdenpartei zu kriminalisieren. Die Abgeordneten sollen ihre Immunität verlieren, wenn ihnen Nähe zur PKK nachzuweisen ist. Das dürfte nicht schwer sein, wenn es politisch gewollt ist. Denn in den Friedensverhandlungen zwischen türkischer Regierung und der PKK hatten führende HDP-Politiker wie Demirtaş eine Vermittlerrolle eingenommen. Demirtaş sagt: "Wir haben keine Angst, vor Gericht zu stehen."

Beobachter fühlen sich an die Neunzigerjahre erinnert

Die Abgeordneten würden von sich aus die Aufhebung ihrer Immunität beantragen. Einen solchen Antrag stellten die HDP-Parlamentarier am Mittwoch im Parlament - verbunden mit der Aufforderung an die anderen Fraktionen, ihrem Beispiel zu folgen. Demirtaş fragt: "Warum sollten wir mehr Immunität genießen als der normale Bürger?"

Die Lage seiner Partei ist ernst. Langjährige politische Beobachter fühlen sich schon an die dunklen Neunzigerjahre erinnert, als kurdische Parteien reihenweise verboten wurden. Die Aufhebung der Immunität stand oft am Anfang. 1994 wurden kurdische Parlamentarier wie Verbrecher abgeführt. Einige landeten danach für zehn Jahre im Gefängnis. Als "Albtraum" hat Murat Yetkin, Kommentator der englischsprachigen Zeitung Hürriyet Daily News, diese Zeit in Erinnerung.

Demirtaş geht es aber auch um das Signal: Wir haben uns nichts vorzuwerfen. Die HDP trage für keinen der Toten die Verantwortung. Die PKK sei eine Organisation, die HDP eine andere. Man nehme auch keine Befehle von der PKK entgegen. Im Wahlkampf war es Demirtaş gelungen, die Wähler davon zu überzeugen, dass die HDP einen anderen Weg als den der Gewalt geht. Trotz ihrer Nähe zur PKK hatten viele Wähler ihr die Stimme gegeben. Das ist das Kapital, das Demirtaş und seine HDP haben. Im Interview mit der Hürriyet Daily News sagte er, die HDP sei die einziger Partei auf Erden, die überhaupt zwischen Ankara, dem inhaftierten PKK-Führer Abdullah Öcalan und den Kämpfern in den Bergen vermitteln könne.

Demirtaş sieht seine Partei als Opfer eines perfiden Plans

Jetzt kann Demirtaş zuschauen, wie die AKP versucht, die HDP von Tag zu Tag stärker in die Nähe von Terroristen zu rücken. Als die Regierung Anfang der Woche die Opposition über die Antiterror-Einsätze informierte, waren die Ultranationalisten von der MHP und die säkulare CHP eingeladen, die HDP aber nicht. Sie gilt als Verbündeter des Feindes. Mit ihr spricht man nicht. Premierminister Ahmet Davutoğlu sagte am Mittwoch in der Sitzung der AKP-Fraktion: "Natürlich könnte man fragen, warum habt ihr Demirtaş nicht angerufen? Diejenigen, die keine klare Haltung zum Terror einnehmen, brauchen nicht informiert werden."

Auch Demirtaş redete mit seinen Leuten, er sieht seine Partei als Opfer eines perfiden Plans. "Türken werden sterben, Kurden werden sterben. Und das ganze Blut soll auf die HDP fließen. Das ist die schmutzige Rechnung."

In seiner harten Linie gegen die HDP hat Präsident Erdoğan schon einen Verbündeten - die Ultranationalisten der MHP. Sie stützen seine Kriegspolitik auf ganzer Linie. Bislang wollte die MHP keine Koalition mit der AKP eingehen, auch deshalb, weil Erdoğan ihr zu kurdenfreundlich zu sein schien. Das hat sich nun geändert. Die MHP würde die Kurden-Partei sofort verbieten. Die HDP hat einen mächtigen Gegner.

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