Türkei:Der Ton wird schärfer in der Türkei

Türkei: In Istanbul demonstrieren nun diejenigen, die gegen die Einführung eines Präsidialsystems in der Türkei gestimmt hatten.

In Istanbul demonstrieren nun diejenigen, die gegen die Einführung eines Präsidialsystems in der Türkei gestimmt hatten.

(Foto: Yasin Akgul/AFP)
  • Am Mittwoch hat die Oberste Wahlkommission der Türkei den Antrag der Opposition abgewiesen, die die Abstimmung annullieren lassen wollte.
  • Internationale Wahlbeobachter von OSZE und Europarat kritisierten, es sei kein Wille erkennbar, die Betrugsvorwürfe aufzuklären.
  • Die türkische Regierung beschuldigte die Beobachter daraufhin, parteiisch zu sein.

Von Mike Szymanski, Istanbul

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan ist ein leidenschaftlicher Fußballfan. Als junger Mann hat er selbst gespielt und davon geträumt, Profi zu werden. Es kam dann anders. Aber die Fußballvergleiche liebt er bis heute. Dem Sender CNN sagte er jetzt: "Es ist egal, ob man 1:0 oder 5:0 gewinnt. Das Ziel ist es, das Spiel zu gewinnen." Dem wäre nichts hinzuzufügen, wenn ihm seine Kritiker wie die Wahlbeobachter der OSZE nicht beharrlich vorwerfen würden, auf einem unebenen Spielfeld gebolzt zu haben.

Vor Gericht kann die Wahlkommission nicht angefochten werden

Auch drei Tage nach dem Referendum über Erdoğans neue Machtfülle in einem künftigen Präsidialsystem kommt das Land nicht zur Ruhe - auch Erdoğans Versuch zum Trotz, seinen Sieg sportlich zu nehmen. Seine Regierung konnte bislang nicht den Verdacht ausräumen, dass es am Wahltag zu Manipulationen gekommen war. Anlass ist die Entscheidung der obersten Wahlbehörde vom Wahlsonntag, Stimmzettel ohne offiziellen Stempel für gültig zu erklären. Dies geschah, während die Abstimmung schon lief. Von solchen ungestempelten Stimmzetteln waren eine Menge aufgetaucht, die Behörde spricht von einem Versehen. Aber dem Gesetz zufolge sind ungestempelte Stimmen eben ungültig.

Am Dienstagabend hatte es wieder Demonstrationen von Bürgern gegeben, die sich deshalb nicht mit dem Ergebnis abfinden wollen. Die Wahl ging mit 51,4 Prozent knapp zugunsten Erdoğans aus. Bislang hatte die Polizei die Demonstranten weitgehend gewähren lassen. Am Mittwoch aber wurden 38 Demonstranten festgenommen, der Vorwurf lautet, sie würden das Volk aufwiegeln. Unter den Festgenommen sind auch jene, die die zivilgesellschaftlichen Kampagnen gegen Erdoğan angeführt hatten. Eine Bürgerinitiative erklärte am Mittwoch: "Das Nein ist kein bloßes Wort mehr, sondern die Realität."

Die Stimmung ist aufgeheizt. Im Istanbuler Stadtteil Beşiktaş riefen Demonstranten: "Dieb, Mörder, Erdoğan." Von Massenprotesten kann zwar noch nicht die Rede sein. Aber der Ton gewinnt an Schärfe. Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu warf der Regierung einen "Putsch gegen den nationalen Willen" vor. Der Vorsitzende der säkularen Partei CHP sagte: "Wir werden nicht aufhören, bevor wir nicht Gerechtigkeit erfahren haben." Regierungschef Binali Yıldırım warf dem Oppositionspolitiker daraufhin vor, die Grenzen der Rechtmäßigkeit zu überschreiten, indem er die Leute auf die Straße schickt.

Die Oberste Wahlkommission der Türkei hat den Antrag der Opposition abgewiesen

Die CHP wie auch zahlreiche Bürger hatten am Dienstag die Annullierung des Referendums beantragt. Am Mittwoch wies die Wahlkommission diesen Antrag zurück. Zuvor hatte sie alle Manipulationsvorwürfe strikt zurückgewiesen. Vor Gerichten kann die Entscheidung der Wahlkommission nicht angefochten werden - auch dies ist ein Kritikpunkt internationaler Wahlbeobachter. Mit denen liegt Ankara seit Tagen im Streit.

Die Kontrolleure der OSZE hatten gerügt, dass das Referendum in der Zeit des Ausnahmezustands durchgeführt wurde, in dem Freiheitsrechte eingeschränkt sind. Die Reformgegner seien in ihrer Kampagne behindert worden. Jetzt sei kein Kooperationswille erkennbar, die Betrugsvorwürfe aufzuklären, sagte die OSZE.

Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu reagierte verärgert. "Ihr könnt nicht in die Türkei kommen und euch in ihre Politik einmischen", sagte er. Das Referendum sei "transparent" verlaufen. In dem vorläufigen Bericht der Beobachter gebe es "eine Vielzahl an technischen und konkreten Fehlern und da sehen wir eine Absicht dahinter".

Am Dienstag hatte er den Fall des Wahlbeobachters Andrej Hunko aufgegriffen, Bundestagsabgeordneter der Linken und für den Europarat am Wahltag im Einsatz. Der Politiker hatte sich 2014 mit einer Fahne der als Terrorgruppe eingestuften PKK fotografieren lassen. "Wie kann man da Objektivität erwarten?", fragte Çavuşoğlu.

Der Linken-Politiker spricht von einer Kampagne gegen ihn, Ankara wolle seine Darstellungen der umstrittenen Wahl als unglaubwürdig darstellen. Die Bundesregierung riet der Türkei, die Bedenken der internationalen Wahlbeobachter nicht einfach abzutun. Die Regierung in Ankara sei "gut beraten, das ernst zu nehmen, intensiv zu prüfen", sagte der Sprecher des Außenamtes.

Das Referendum belastet auch weiterhin das Verhältnis zu den Niederlanden. Nachdem dort die Zustimmung für Erdoğans Präsidialsystem mit mehr als 70 Prozent überdeutlich ausgefallen war, hatte Rechtspopulisten Geert Wilders gesagt: "Wir müssen dafür sorgen, dass Leute keine doppelte Staatsangehörigkeit mehr haben können, allen voran Türken." Çavuşoğlu bezeichnete dies als "eindeutige Nazi-Auffassung".

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