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Türkei:Der Mafia-Boss und der Präsident

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Ein berüchtigter Krimineller droht dem wichtigsten türkischen Oppositionspolitiker mit dem Tod. Das ist heikel für Recep Tayyip Erdoğan: Der Mafioso ist Vertrauter des Chefs der Rechtspartei, mit deren Hilfe der Staatschef regiert.

Von Tomas Avenarius, Istanbul

Die wüsten Drohungen eines türkischen Mafia-Bosses gegen den Führer der wichtigsten Oppositionspartei des Landes bringen Staatschef Recep Tayyip Erdoğan in Erklärungsnotstand. Alaattin Çakıcı, ein wegen Mordes verurteilter, vor wenigen Monaten aber freigelassener Mafioso, hatte den Führer der sozialdemokratisch ausgerichteten CHP, Kemal Kılıcdaroğlu, kaum verhohlen mit dem Tod bedroht. Er hatte ihn zudem als "Hund" beleidigt, der "Vaterlandsverrätern" diene.

Besonders brisant sind die Drohungen, weil der Mobster ein enger Vertrauter von Devlet Bahçeli ist, dem Chef der rechtsextremen Partei MHP. Die MHP ist Präsident Erdoğans inoffizieller Regierungspartner und ermöglicht der Regierungspartei AKP im Parlament die Mehrheit. Führende Oppositionspolitiker forderten Erdoğan nun auf, die Drohungen des Mafioso zu verurteilen. Das dürfte dem Präsidenten aber nicht leicht fallen: Er ist im Parlament auf Bahçeli und seine MHP angewiesen.

Der verurteilte Mörder gilt als langjähriger Auftragskiller des "Tiefen Staats", der Linke und Kurden verfolgte

Der Mafioso Çakıcı hatte CHP-Chef Kılıcdaroğlu in einem handgeschriebenen Brief gewarnt: Dieser begehe "den Fehler seines Lebens", wenn er Bahçeli gleichsetze mit "den Vaterlandsverrätern, denen Du wie eine Hund dienst". Kılıcdaroğlu reiche einem Mann vom Format Bahçelis "nicht einmal bis zu den Eiern". Çakıcı bezog sich auf eine Rede Kılıcdaroğlus, der Bahçelis immer stärkere Rolle als Hardliner in der Erdoğan-Regierung kritisiert und den MHP-Chef einen "Wärter des Palastes" genannt hatte.

Çakıcı ist eine verrufene Figur. Er ist nicht nur ein klassischer Mobster aus dem organisierten Verbrechen der Türkei, sondern soll lange Jahre auch Auftragskiller des "Tiefen Staats" gewesen sein. Als Tiefer Staat gelten in der Türkei kriminelle staatliche Strukturen, die in den Zeiten früherer Regierungen und Militärregime vor allem linke und kurdische Oppositionelle von Mafiosi ermorden ließen. Gleichzeitig betrieb der Tiefe Staat korrupte Geschäfte mit der organisierten Kriminalität.

Die "Grauen Wölfe" gehören zum finsteren Umfeld der Mobster und der rechten MHP

Auch wenn Erdoğan sich immer gegen den Tiefen Staat ausgesprochen hat, bestehen zumindest die Mafia-Gruppen selbst bis heute. Einige haben seit Jahrzehnten ein enges Verhältnis zur MHP. Besonders nah sind sie den "Grauen Wölfen". Die sind die Schlägertruppe der Partei. Als nationalistische Extremisten mobilisieren sie vor allem gegen Minderheiten wie Kurden oder Armenier.

MHP-Chef Bahçeli selbst ist persönlich eng mit Çakıcı verbunden. Er hatte sich immer für die Freilassung des wegen der Anstiftung zum Mord an seiner geschiedenen Ehefrau verurteilten Çakıcı starkgemacht. Er hatte diesen mehrmals im Gefängnis besucht und nach der Freilassung sofort empfangen. Çakıcı nennt Bahçeli "einen Bruder" und den "Führer der türkischen Nation". CHP-Chef Kılıcdaroğlu hat nun Anzeige erstattet. Zudem will die Opposition, dass Präsident Erdoğan sich äußert. Der Mobster Çakıcı fühlt sich aufgrund seiner Verbindungen zur MHP allerdings schon seit Langem so unantastbar, dass er sogar Erdoğan äußerst unflätig beleidigt hatte.

Die Morddrohungen aus dem Umfeld der MHP und der Grauen Wölfe dürften auch in Deutschland für Aufmerksamkeit sorgen. Die Grauen Wölfe werden vom Verfassungsschutz beobachtet, in Berlin wird die Forderung nach einem Verbot lauter. Die Grauen Wölfe gelten zudem als Instrument der türkischen Regierung, vor Wahlen in der Türkei die deutsch-türkische Wählerschaft zu mobilisieren. In Frankreich wurden die Grauen Wölfe, die sich selbst "Ülkücüler" nennen, also die Idealisten, jüngst nach Attacken gegen Armenier verboten.

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