Süddeutsche Zeitung

Türkei:Bundesregierung warnt Erdoğan vor Beschädigung der Beziehungen

  • "Du benutzt gerade Nazi-Methoden": Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat in einer Rede die Kanzlerin persönlich angegriffen.
  • Die Bundesregierung verurteilt die Vorwürfe als "inakzeptabel".
  • SPD-Kanzlerkandidat Schulz spricht von einer "Frechheit".

Die Bundesregierung warnt die Türkei angesichts drastischer Beschimpfungen vor einer Beschädigung der Beziehungen. Die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer wies Vorwürfe des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zurück, Bundeskanzlerin Angela Merkel wende Nazi-Methoden an. "Es bleibt dabei: Nazi-Vergleiche sind inakzeptabel, egal in welcher Form", sagte sie in Berlin. Die türkische Regierung habe es in der Hand, die Rhetorik zu mäßigen und eine nachhaltige Beschädigung der Beziehungen abzuwenden.

Unmittelbare Konsequenzen scheint die Bundesregierung jedoch nicht ziehen zu wollen. Außenamts-Sprecher Martin Schäfer riet davon ab, die Provokationen aus Ankara "mit gleicher Münze" zu beantworten. Je mehr Deutschland "mit aller Heftigkeit" zurückschlage, "umso mehr gehen wir da dieser Taktik des türkischen Präsidenten und der türkischen Regierungspartei auf den Leim".

Im Konflikt mit Berlin hatte der türkische Präsident Erdoğan der Kanzlerin am Sonntag auch persönlich "Nazi-Methoden" vorgeworfen. In einer vom Fernsehen übertragenen Rede sagte Erdoğan in Istanbul demnach an Angela Merkel gerichtet: "Du benutzt gerade Nazi-Methoden." Weiter sagte er: "Bei wem? Bei meinen türkischen Geschwistern in Deutschland, bei meinen Minister-Geschwistern, bei meinen Abgeordneten-Geschwistern, die dorthin reisen."

Mit Blick auf Europa fügte Erdoğan hinzu, dort könnten "Gaskammern und Sammellager" wieder zum Thema gemacht werden, aber "das trauen sie sich nur nicht". Offen ließ der Präsident, wen er mit "sie" genau meinte. Wegen der Absage einiger Wahlkampfauftritte türkischer Regierungsmitglieder in Deutschland hatte er zuvor schon den deutschen Behörden "Nazi-Methoden" vorgeworfen.

Außenminister Gabriel: "Wir sind tolerant, aber wir sind nicht blöd"

Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) bezeichnete die Angriffe als "absurd". "Wir sind tolerant, aber wir sind nicht blöd", sagte er der Passauer Neuen Presse (Montag). "Ich habe meinem türkischen Kollegen deshalb ganz deutlich gemacht, dass hier eine Grenze überschritten wurde."

Der neue SPD-Chef und Kanzlerkandidat Martin Schulz nannte den Nazi-Vorwurf eine "Unverfrorenheit". "Dass das Staatsoberhaupt eines befreundeten Landes die Regierungschefin dieses Landes in dieser Form beleidigt, ist eine Frechheit", sagte er am Sonntag in der ARD-Sendung "Farbe bekennen".

Man müsse Erdoğan jetzt irgendwann mal sagen, dass ein Staatsoberhaupt eines Nato-Mitglieds und eines EU-Beitrittskandidaten "nicht alle Gepflogenheiten der internationalen Diplomatie mit Füßen treten" dürfe. "Das tut er aber. Das ist eines Staatsoberhauptes unwürdig", sagte Schulz. In der ZDF-Sendung "Berlin direkt" fügte er hinzu: "Herr Erdoğan ist auf dem Weg, jede Art der Kontrolle über seine Rhetorik zu verlieren."

EU-Parlamentarier Weber: "Mit jedem Tag bizarrer"

Der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion im EU-Parlament, Manfred Weber, warnte Erdoğan vor einer weiteren Eskalation des Konflikts mit Deutschland und anderen europäischen Staaten. "Der Stolz einer Nation kann nicht durch das Beleidigen anderer verteidigt werden", sagte der stellvertretende CSU-Vorsitzende den Zeitungen der Funke Mediengruppe."Mit dieser aggressiven Politik schadet er seinem eigenen Land am meisten", sagte Weber. Erdoğans Attacken würden "mit jedem Tag bizarrer", sagte er.

Die CDU-Vizevorsitzende Julia Klöckner reagierte entsetzt auf die neuen Ausfälle gegen Merkel: "Ist Herr Erdoğan überhaupt noch ganz bei Sinnen?", fragte sie. Klöckner sprach sich dafür aus, Erdoğan politischen Wahlkampf in Deutschland zu verbieten und die EU-Heranführungshilfen in Milliardenhöhe zu streichen. Vielleicht brauche "Herr Erdoğan einfach mal ein Blockseminar in Geschichte, Anstand und Völkerverständigung."

Kanzlerin Merkel hatte bereits am 9. März bei ihrer Regierungserklärung im Bundestag gesagt: "Diese Vergleiche der Bundesrepublik Deutschland mit dem Nationalsozialismus müssen aufhören." Sie nannte die auch vom türkischen Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu aufgegriffenen Vergleiche "traurig und deprimierend" und "so deplatziert, dass man es nicht ernsthaft kommentieren kann".

Mit einem Gegenangriff hat die türkische Regierung indes auf die Einschätzung des Bundesnachrichtendienstes (BND) reagiert, wonach es keine Anzeichen für eine Beteiligung der Gülen-Bewegung am fehlgeschlagenen Putsch in der Türkei im vergangenen Juli gebe. Ein Sprecher Erdoğans hielt Deutschland vor, es wolle die Bewegung des islamischen Predigers "reinwaschen".

Die Türkei stuft die Bewegung von Gülen, einem einstigen Weggefährten und heutigen Erzfeind von Erdoğan, als terroristisch ein. Seit dem Putsch-Versuch wurden zehntausende angebliche Gülen-Anhänger inhaftiert oder aus dem Staatsdienst entlassen.

BND-Chef Kahl hatte dem Spiegel zu dem Putsch-Vorwurf gegen Gülen gesagt: "Die Türkei hat auf den verschiedensten Ebenen versucht, uns davon zu überzeugen. Das ist ihr aber bislang nicht gelungen." Er widersprach auch der Einschätzung, die Gülen-Bewegung sei islamisch-extremistisch oder gar terroristisch: "Die Gülen-Bewegung ist eine zivile Vereinigung zur religiösen und säkularen Weiterbildung."

Verteidigungsminister Fikri Işık wiederum sprach im Fernsehsender Kanal 7 von "höchst bedauerlichen Äußerungen" des BND-Chefs. Dadurch würden die Zweifel an Deutschlands eigener Rolle größer. Und dies werde "die Frage lauter werden lassen, ob der deutsche Geheimdienst hinter dem Putsch steckte". Türkische Politiker hatten bereits mehrfach gemutmaßt, dass westliche Staaten in den Umsturzversuch verstrickt gewesen sein könnten.

Ankara nennt Kurden-Demonstration in Frankfurt "Skandal"

Wegen einer pro-kurdischen Demonstration in Frankfurt am Main am Samstag hat die türkische Regierung derweil nach eigenen Angaben den deutschen Botschafter einbestellt. Erdoğans Sprecher nannte es einen "Skandal", dass viele Demonstranten verbotene Kennzeichen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) mit sich geführt hatten.

Der deutsche Botschafter sei bereits am Samstag einbestellt worden, die Vorfälle seien "auf das Schärfste verurteilt" worden, fügte Präsidentensprecher İbrahim Kalın im Sender CNN Türk hinzu. Das Auswärtige Amt in Berlin wollte eine Einbestellung des deutschen Botschafters nicht bestätigen. Es hieß lediglich, es habe "in dieser Sache telefonischen Kontakt" gegeben.

Etwa 30 000 Menschen hatten friedlich für "Demokratie in der Türkei" und "Freiheit für Kurdistan" demonstriert. Die Teilnehmer riefen auch zu einem "Nein" bei dem anstehenden Referendum über die Einführung eines Präsidialsystems in der Türkei auf. Laut Polizei waren zahlreiche Fahnen und Plakate mit Abbildungen verbotener Symbole sowie Bilder des Chefs der ebenfalls verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Abdullah Öcalan, zu sehen. Die Polizei verzichtete aber nach eigenen Angaben auf Beschlagnahmungen, um einen friedlichen Verlauf der Veranstaltung zu gewährleisten. Die Fälle sollen aber strafrechtlich verfolgt werden.

Erdoğan hatte Merkel zuletzt in einem Interview "Unterstützung von Terroristen" vorgeworfen. Die Bundesregierung wies diese Vorwürfe als "abwegig" zurück.

Erdoğan über Yücel: "Gott sei Dank ist er festgenommen worden"

Auch zum Fall des inhaftierten Welt-Journalisten Deniz Yücel äußerte sich Erdoğan: Dieser könne nicht auf eine schnelle Freilassung aus seinem türkischen Gefängnis hoffen. Erdoğan sagte in Istanbul, Yücel sei ein Terror-Helfer und werde vor Gericht gestellt: "Gott sei Dank ist er festgenommen worden."

Yücel hat die deutsche und türkische Staatsangehörigkeit. Die Bundesregierung fordert die Freilassung Yücels und dass das deutsche Konsulat Yücel zunächst im Gefängnis betreuen darf. Sie verweist darauf, dass der türkische Ministerpräsident Binali Yıldırım dies Bundeskanzlerin Angela Merkel bereits Anfang März zugesagt habe.

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