Besuch in Istanbul:Warum die Türkei-Reise für Merkel so wichtig ist

Bundeskanzlerin Merkel besucht Türkei

Nach Europa bitte hier entlang: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan am 02.11.2011 im Bundeskanzleramt in Berlin.

(Foto: dpa)
  • Beim Besuch von Bundeskanzlerin Merkel in der Türkei wird sie für Unterstützung für die europäische Flüchtlingspolitik werben.
  • Die Türkei hatte zuletzt drei Milliarden Euro von der EU gefordert, um Flüchtlinge an den Außengrenzen Europas abzuhalten.
  • Der türkische Präsident Erdoğan erhofft sich Vorteile für die Beitrittsgespräche mit der EU. Hier wird Merkel ihm jedoch kaum entgegenkommen können.

Von Daniel Brössler, Stefan Kornelius und Robert Roßmann

Der Druck ist enorm, wenn Angela Merkel am Sonntag in den Regierungsflieger steigt und mit kleiner Entourage nach Istanbul aufbricht. Selten zuvor in ihrer zehnjährigen Amtszeit war das politische Schicksal der Bundeskanzlerin derart mit einem einzigen Reisetermin verknüpft. Gleichzeitig weiß Merkel, dass sie in Istanbul keine Wunder vollbringen kann: Der Flüchtlingsstrom wird nicht über Nacht versiegen. Wenigstens aber hat sich die Türkei auf ernsthafte Verhandlungen eingelassen.

Die Reise schafft der Kanzlerin auch innenpolitische Probleme. Kritiker beklagen, dass Merkel die Türkei aufwerte. Der fast fertige EU-Fortschrittsbericht, noch unter Verschluss, ist nicht zimperlich. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung schreibt das EU-Verbindungsbüro des Bundestags, er werde "kritisch ausfallen". Beklagt werde die "deutliche Verlangsamung des Reformprozesses".

Erdoğan will vor allem mehr Anerkennung

Merkels Besuch baut auf einem Aktionsplan auf, den der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, in Ankara ausgehandelt hat. Darin verpflichtet sich die Türkei etwa zu Grenzkontrollen und zur Rücknahme von Flüchtlingen, verlangt aber Gegenleistungen. Präsident Recep Tayyip Erdoğan und seine Unterhändler haben klargemacht, dass es ihnen in erster Linie nicht auf mehr Geld, sondern auf mehr Anerkennung ankommt. "Man kann die Türkei nicht Montag bis Freitag kritisieren und Samstag um Unterstützung bitten", sagt ein Unterhändler. Deswegen ist Merkels Reise eine bemerkenswerte Geste - so kurz vor der Parlamentswahl am 1. November.

Die Kanzlerin wird keine Oppositionspolitiker treffen - auch das ein Signal. Dem Wahlkampf kann sie dennoch nicht entkommen. Mühsam wurde der Besuch choreografiert, um die Fallgruben zu umgehen. Eine Pressekonferenz gibt es nur mit Premierminister Ahmet Davutoğlu, nicht mit dem Präsidenten, mit dem sie sich - gespielt spontan - für ein Statement vor die Kameras begibt. Später werden kritische Worte zu Repression und Meinungsfreiheit fallen.

Bei Merkels Gesprächen gilt es, den vom EU-Gipfel gebilligten Aktionsplan mit Leben zu füllen und mit einem Preisschild zu versehen. Erdoğan sieht sich auf Augenhöhe mit den G-7-Staatschefs - da kommt Merkel als Verhandlerin gerade recht. Die Türkei will Regierungskonsultationen führen, sie verlangt mehr Tempo in den Beitrittsgesprächen mit der EU, und sie will ihren Status durch eine Aufhebung der Visumspflicht und die Anerkennung als sicherer Drittstaat aufgewertet wissen.

Was Merkel der Türkei anbieten kann

Merkel kann Erdoğan keine Wunder versprechen. Für die Visa-Liberalisierung gibt es ein Verfahren, das allenfalls beschleunigt werden kann. Bei den Beitrittsgesprächen sind Verhandlungskapitel durch das zyprische Veto blockiert. Möglich ist, das 17. Kapitel zu eröffnen, in dem es um Wirtschafts- und Währungspolitik geht. Da ist eine Blockade Frankreichs nicht zu erwarten, das bisher der mächtigste Gegner der Türkei in der EU war.

Am Ende geht es dann doch ums Geld: Ob es drei Milliarden Euro werden, wie von Erdoğan gefordert - Merkel wollte sich auf dem EU-Gipfel nicht festlegen. Allerdings will sie "Bedingungen schaffen, damit Flüchtlinge näher an ihrer Heimat bleiben". Sollte Erdoğan nach der Wahl das Arbeitsverbot für syrische Flüchtlinge aufheben, kann er mit großzügiger Hilfe rechnen. Überlegungen kursieren, syrische Schulen in der Türkei zu bauen und die Gesundheitsversorgung zu finanzieren.

Europa muss Geschlossenheit demonstrieren

Merkel war besonders aufgestoßen, dass in den wichtigen strategischen Fragen über den Umgang mit der Türkei und mit Syrien keine Einigkeit unter den großen drei der EU herrscht. Das soll sich nun ändern, nachdem sie mit David Cameron und François Hollande am Rande des EU-Gipfels zusammengesessen hatte.

Es geht um Europas Geschlossenheit, gegenüber Russland, Iran, den Golfstaaten und den USA. Wer Washington im Syrien-Flüchtlingsdrama nicht verlieren möchte, der muss Geschlossenheit zeigen. Nicht zuletzt ist die Türkei Nato-Mitglied: In den vorbereitenden Gesprächen wurde auch über die Unterstützung Ankaras nachgedacht, etwa mit Awacs-Aufklärungsflugzeugen oder symbolischen Manövern von Nato-Verbänden. Wie explosiv die militärische Lage ist, zeigte am Freitag der Abschuss einer Drohne unbekannter Herkunft an der Grenze zu Syrien durch die türkische Luftwaffe.

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