Türkei:Auf zum Mond!

Erdoğan findet ein Mittel gegen die Krise: Träume vom Weltraum.

Von Tomas Avenarius, Istanbul

Im Jahr 1997 machte der Film "Wag the Dog" Furore: Es geht um einen US-Präsidenten, der einen Sex-Skandal am Hals hat. Sein Berater und sein Spindoktor - Robert De Niro und Dustin Hoffmann - wissen, dass sie den Wähler mit etwas Unerwartetem ablenken müssen von der Bettgeschichte. Also denken sie sich einen kleinen "Fake-Krieg" aus: Die USA im Kampf gegen Albanien. Ein Land also, von dem in den USA niemand weiß, wo es liegt - der Balkanstaat könnte auf dem Mond liegen. In den Medien geht es von da ab nur noch um Nation und Heldenmut, das ganze Land trieft von Pathos, am Ende geht alles tüchtig schief.

Offenbar hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan ähnlich findige Berater und Spindoktoren. Erst taucht vor einigen Tagen - wie vom Firmament gestürzt - eine geheimnisvolle Metallstele auf, die eine überaus kryptische Inschrift trägt: "Schau zum Himmel und sieh den Mond". Das Ganze in alttürkischen Runen geschrieben und in der Nähe der weltberühmten prähistorischen Fundstätte Göbekli Tepe im tiefsten Anatolien gefunden, auf einem Acker stehend. Die Medien überschlugen sich.

Dann verschwindet das seltsame Ding über Nacht spurlos, obwohl es rund um die Uhr von einem Trupp Kommando-Soldaten bewacht wurde. Und dann verkündet der Präsident das, womit die Nation nun wirklich nicht gerechnet hat: Die Sache mit der Stele war ein Werbegag, die Türkei will zum Mond fliegen, dort ein unbemanntes Gerät hart landen lassen.

Die Story von "Wag the Dog" heißt nun offenbar "Der Mann im Mond trägt Pluderhosen". Dass das Weltereignis im Jahr 2023 geschehen soll, passt: Da wird das einhundertjährige Bestehen der türkischen Republik gefeiert, außerdem ein neuer Präsident gewählt. Und der soll natürlich wieder Erdoğan heißen. Weshalb der Staatschef seine Bürger einstimmt: "Wir sind Erben einer Zivilisation, die in den grundliegenden Wissenschaften wie Mathematik und Medizin führend war und ein neues Zeitalter eröffnete. Dank der Arbeiten türkischer und muslimischer Wissenschaftler vor vielen Jahrhunderten können wir heute über das Weltraumzeitalter reden." Dann führt er den Forscher Abu Raihani al-Biruni an: "Der hat die Erdanziehungskraft sieben Jahrhunderte vor Newton entdeckt."

Das mag stimmen. Weit aktueller aber ist, dass Erdoğans Umfragewerte sinken, seine AKP-Partei an Rückhalt verliert. Die Gründe? Die Wirtschaft ist nicht erst seit Corona in der Krise, wegen der Seuche bleiben die Touristen fern, die Korruption ist allgegenwärtig. Die Repression wird immer schlimmer, der Rechtsstaat demontiert, kritische Blätter ebenso wie die sozialen Medien werden schikaniert oder gleich stranguliert.

Erdoğan regiert seit fast 20 Jahren. Erst Premier, dann Präsident - viele Türken sehnen sich nach einem neuen Gesicht. Zudem machen die Studenten Ärger. Sie demonstrieren, weil der Präsident einen Rektor für eine Istanbuler Elite-Uni ausgesucht hat. Dem fehlt es am akademischen Rüstzeug, er ist ein Parteisoldat.

Was den Mann im Mond angeht - in den sozialen Medien kursieren bereits die ersten Witze: "Das Volk will darüber abstimmen, wen wir auf den Mond schießen!", heißt es da. Wer da gemeint ist, weiß in der Türkei jeder.

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