Süddeutsche Zeitung

Türkei: Armee vs. Regierung:Mit den Waffen der Politik

Entspannung im Machtkampf: Die türkische Regierung greift in die Personalplanung der Armee ein - und die Generäle lassen sie gewähren.

Kai Strittmatter

Anderswo halten sich Länder eine Armee, in der Türkei hält sich die Armee ein Land. So geht ein türkischer Kalenderspruch - einer, der seinen Anspruch auf Gültigkeit allmählich verloren hat. Die vergangene Woche hat das wieder einmal gezeigt: Armee und Regierung haben miteinander gerungen, um Personal, um Autorität - und die Armee hat verloren. Das ist eine gute Nachricht. Manche haben angesichts des Gerangels zwischen der Regierung und den Generälen erschrocken eine "Krise" ausgerufen. Weil es das bisher nicht gab, dass die Regierung den mächtigen Armeechefs widerspricht, dass eine Regierung ihre in Verfassung und Gesetzbuch niedergeschriebenen Rechte tatsächlich in Anspruch nimmt. Noch keine Regierung hatte das gewagt. Eine Krise? Vor allem handelte es sich um ein Stückchen Normalisierung. Die Türkei ist wieder ein wenig demokratischer geworden.

Spannungen und Schlachtengetümmel - man hat oft das Gefühl, in der türkischen Politik jage eine Krise die andere. Nervenaufreibend ist das oft, aber nichts anderes als ein Symptom des historischen Wandels, den das Land durchläuft. Ein altes autoritäres System kämpft seine Rückzugsgefechte, und im Zentrum des Kampfes steht das heikle Verhältnis zwischen der gewählten Regierung und der Armee, die sich als Gründerin und Hüterin der Republik versteht und bis heute ein Staat im Staate ist. Diese Armee hat schon drei Mal mit Waffengewalt geputscht.

Ein wichtiges Zeichen für den Zeitenwandel gab es schon im April 2007. Die Streitkräfte-Chefs wollten nicht, dass das Parlament den populären Außenminister Abdullah Gül zum Präsidenten wählt - er war ihnen zu fromm. Also tat der Generalstab das, was er gewohnt war: er drohte.

Das Land aber reagierte diesmal anders als früher. Der Vizepremier erinnerte die Generäle daran, dass die Verfassung sie dem Primat der Politik unterstellt. Das Parlament wählte Gül. Und das Volk bescherte der AKP bei der folgenden Wahl sagenhafte 47 Prozent. Zu einem Großteil war die Abstimmung 2007 eine Protestwahl gegen die Generäle. Die Türken hatten die ewige Einmischung des Militärs schlicht satt.

Einspruch von ganz oben

Weitere Tabubrüche folgten: die Aufdeckung von Putschplänen der Armee. Die Festnahme von Offizieren, denen die Verwicklung in diese Putschvorbereitungen vorgeworfen wird. Letzte Woche dann ein weiterer Wendepunkt: Erstmals wagten es der Präsident und der Premier der Republik, sich einzumischen in die alljährliche Beförderungsrunde der Streitkräfte. Bisherige Regierungen durften lediglich abnicken, was die Generäle ausgekungelt hatten.

Präsident Gül und Premier Tayyip Erdogan aber erhoben Einspruch. Dabei ging es ihnen nicht darum, eigene Kandidaten an die Spitze der Armee zu hieven. Sie lehnten es schlicht ab, die Beförderung von einem Dutzend Generälen zu unterschreiben, gegen die der Staatsanwalt ermittelt wegen Verschwörung gegen die Regierung und wegen Putschplänen, die unter anderem die Ermordung von Angehörigen christlicher Minderheiten vorsahen. Eine Selbstverständlichkeit, sollte man meinen. Nicht in der Türkei, noch nicht. Acht Tage hielt das Land den Atem an, dann gab die Armeeführung nach.

Ein Sieg für die Regierung? Ein Sieg für Recht und Gesetz vor allem. Armeefreunde beklagen nun wieder einen Schlag gegen die angeblich letzten Verteidiger des Säkularismus. Das ist nicht nur falsch, es ist auch zynisch. Türkische Generäle haben in der Vergangenheit Zivilisten foltern und ermorden lassen, ihre Putsche haben Demokratie und Wirtschaft der Türkei um Jahrzehnte zurückgeworfen, sie haben die Türken auf Nationalismus und Militarismus gedrillt. Wenn die zivile Türkei nun Schritt für Schritt Oberhand gewinnt über die militaristische, dann ist das ein Segen. Die Türkei ist in dieser Woche nicht islamischer, sie ist demokratischer geworden.

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Quelle:
SZ vom 11.08.2010/jab
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