Türkei:Sechs Parteien gegen Erdoğan

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Ein breites Bündnis hat sich in der Türkei gebildet, um bei den Wahlen im Mai die regierende konservativ-islamische AKP von Präsident Recep Erdoğan zu besiegen, mit dabei Kemal Kilicdaroglu (ganz rechts). Am Montag hat das Sechs-Parteien-Bündnis in Ankara bei einer gemeinsamen Veranstaltung ihr Programm präsentiert. (Foto: Adem Altan/AFP)

In der Türkei formiert sich ein Bündnis, das bei den Wahlen im Mai die regierende konservativ-islamische AKP des Präsidenten bezwingen will.

Von Christiane Schlötzer

Die Türkei soll wieder ein funktionierender Rechtsstaat werden, mit einem gestärkten Parlament, aber ohne einen allmächtigen Präsidenten. Dies ist das zentrale Versprechen der türkischen Opposition, die sich erstmals zu einem Sechs-Parteien-Bündnis zusammengeschlossen hat, um bei der Parlaments- und Präsidentschaftswahl am 14. Mai die regierende konservativ-islamische AKP von Präsident Recep Erdoğan zu besiegen. "Unser Hauptziel ist es, die Türkei zu einem glücklichen Land zu machen, in dem jeder ein menschenwürdiges Leben führt", heißt es in dem am Montag veröffentlichten 240 Seiten langen Wahlprogramm. Erdoğan regiert mit der von ihm gegründeten AKP seit 20 Jahren, erst als Premier und seit 2014 als Staatspräsident. Eine Verfassungsänderung gab ihm in seiner zweiten Amtszeit von Juli 2018 an fast uneingeschränkte Macht. Diese Änderung des türkischen Regierungssystems möchte die Opposition nach einem Wahlsieg rückgängig machen.

Den Kandidaten, mit dem sie Erdoğan herausfordern will, hat sie allerdings noch nicht benannt. Dies soll nach den Worten von Kemal Kılıçdaroğlu, dem Vorsitzenden der größten Oppositionspartei, der säkularen CHP, am 13. Februar geschehen. Der 74-jährige Kılıçdaroğlu gilt selbst als möglicher Bewerber, auch wenn Umfragen dem deutlich jüngeren Istanbuler Oberbürgermeister Ekrem Imamoğlu bessere Chancen einräumen. Den 52-jährigen Imamoğlu hat die Justiz aber mit einer Gefängnisstrafe wegen angeblicher Beamtenbeleidigung im Dezember aus dem Rennen geworfen. Imamoğlu hatte 2019 die Kommunalwahl in Istanbul spektakulär gewonnen - nach einem Vierteljahrhundert konservativer Herrschaft in der 16-Millionen-Metropole. Die Opposition hatte damals auch die Millionenstädte Ankara, Izmir und Antalya erobert. Seitdem gilt Erdoğan nicht mehr als unbesiegbar.

Streit gibt es darüber, ob Erdoğan überhaupt noch einmal für eine dritte Amtszeit antreten kann. Nach der Verfassung sind nur zwei erlaubt. Erdoğan stellt sich auf den Standpunkt, dass mit der Einführung des Präsidialsystems und seiner Wahl 2018 "die Stoppuhr auf null gestellt wurde", wie er bei einer Veranstaltung am Wochenende sagte. Damit sei für ihn das Limit noch nicht erreicht. Die Opposition hält dagegen, die Verfassung sei "eindeutig", Erdoğan könne kein drittes Mal antreten. Man werde den Obersten Wahlrat (YSK) anrufen, sagte Kılıçdaroğlu, setzte aber hinzu, die Anträge würden von der Wahlaufsicht bestimmt nicht angenommen. "Jeder, der bei klarem Verstand ist, weiß, dass die Justiz aufgehört hat, eine Judikative zu sein."

Nach einer von der regierungskritischen Zeitung Cumhuriyet veröffentlichten Umfrage wünschen sich gut zwei Drittel der Jungwähler einen neuen Präsidenten. 6,5 Millionen der 64 Millionen Wahlberechtigten sind im Mai erstmals an die Urnen gerufen. Die Wahlen finden in einer tiefen Wirtschaftskrise statt, die hohe Inflation belastet vor allem Türkinnen und Türken mit niedrigen Einkommen, traditionell eher Wähler der AKP. Jüngst hat die Regierung bereits den Mindestlohn kräftig erhöht, Supermarktketten zu Preissenkungen gezwungen und eine Teil-Steueramnestie versprochen.

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