Tübingen (dpa/lsw) - Im Streit um den drohenden Parteiausschluss bekommt Tübingens grüner Oberbürgermeister Boris Palmer nun erstmals breitere Rückendeckung aus den eigenen Reihen. Eine Gruppe von Unterstützern aus dem Tübinger Kreisverband und um die frühere Entwicklungs-Staatssekretärin Uschi Eid hat seit Mitte Dezember in der Partei Unterschriften für einen Verbleib des wohl bekanntesten deutschen Rathauschefs bei den Grünen gesammelt. Etwa 500 Mitglieder, vor allem aus dem Landesverband Baden-Württemberg, haben den am Montag veröffentlichten Aufruf unterzeichnet und wollen damit den Landes- als auch den Bundesverband unter Druck setzen.
Unter den Unterzeichnern sind auch ehemalige prominente Grünen-Politikerinnen und -Politiker wie die frühere Bundestags-Vizepräsidentin Antje Vollmer. Aus dem Südwesten haben zum Beispiel Klaus-Peter Murawski, der langjährige Staatskanzleichef von Ministerpräsident Winfried Kretschmann, oder Ex-Umweltminister Franz Untersteller unterschrieben. Auch Kretschmanns Sohn Johannes, der vergeblich für den Bundestag kandidiert hatte, unterstützt Palmer, ebenso wie der frühere Wirtschafts-Staatssekretär und Grünen-Chef Rezzo Schlauch, der den OB im Ausschlussverfahren auch als Anwalt vertritt.
In dem Aufruf wird unter anderem beklagt, „dass es intellektuelle Exzentriker in unserer Partei schwer haben und Charakterköpfe nicht als interessante Bereicherung angesehen werden“. Gleichwohl hielten auch die Unterstützer „manche Äußerungen von Boris für unpassend, geschmacklos, beleidigend oder verstörend“. Ein direkt gewählter OB müsse mehr Zurückhaltung üben. „Doch als Gründe für einen Parteiausschluss reichen diese verbalen Entgleisungen nicht aus.“ Zudem sei der 49-Jährige ein äußerst erfolgreicher Kommunalpolitiker. Kein deutscher OB habe so viele „urgrüne Ziele“ realisiert wie Boris Palmer. Seine Unterstützer fordern: „An seinen Taten sollt Ihr ihn messen.“
Ein Landesparteitag hatte Anfang Mai beschlossen, ein Parteiordnungsverfahren gegen Palmer anzustrengen. Auslöser war ein Facebook-Beitrag Palmers über den früheren deutschen Fußball-Nationalspieler Dennis Aogo, in dem der OB das sogenannte N-Wort benutzt. Mit diesem Begriff wird heute eine früher in Deutschland gebräuchliche rassistische Bezeichnung für Schwarze umschrieben. Palmer beteuerte, seine Äußerung sei ironisch gemeint gewesen.
Die ehemaligen Landeschefs Sandra Detzer und Oliver Hildenbrand hatten Mitte November erklärt: „Wir haben es mit einer jahrelangen Vorgeschichte und einer langen Liste von kalkulierten Ausrutschern und inszenierten Tabubrüchen zu tun. Boris Palmer nutzt vor allem die Themen der Einwanderungs-, Flüchtlings-, und Menschenrechtspolitik dazu, sich Äußerung um Äußerung weiter von der Linie unserer Partei zu entfernen.“ Und weiter: „Für jemanden, der mit Rassismus kokettiert und Ressentiments schürt, ist bei uns kein Platz“. Wann das Verfahren vor der Kreisschiedskommission Tübingen beginnen soll, ist noch nicht bekannt.
In der Mitteilung zu dem Aufruf vom Montag erklären die Initiatoren aus dem Grünen-Kreisverband Tübingen, Christoph Joachim und Christoph Melchers, der Antrag für das Parteiausschlussverfahren gegen Palmer sei spontan beim Landesparteitag gestellt worden. Daher habe das Anliegen des Antrags nicht auf Kreisebene diskutiert werden können. Der Beschluss sei „ein großer Fehler“ gewesen.
In Tübingen soll im Herbst eine neuer OB gewählt werden. Die Grünen in der Uni-Stadt haben beschlossen, den nächsten Kandidaten in einer Urwahl zu bestimmen. Daraufhin hatte die derzeitige Ortsvorsteherin im Tübinger Stadtteil Weilheim, Ulrike Baumgärtner, ihren Hut in den Ring geworfen. Im April sollen die Mitglieder des Stadtverbands darüber entscheiden, wer für die Partei antritt. Palmer hat sich noch nicht klar über eine mögliche Kandidatur geäußert.
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