TTIP-Recherche:Das Chlorhuhn ist tot, es lebe der Investorenschutz!

Garcia Bercero, Dan Mullaney

Gut gelaunt bei der sechsten TTIP-Verhandlungsrunde in Brüssel: EU-Chefunterhändler Garcia Bercero (r.) und der US-Verhandlungsführer Dan Mullaney

(Foto: AP)

Eine Woche Brüssel, eine Woche TTIP: Unsere Reporter haben während der jüngsten Verhandlungsrunde zum Freihandelsabkommen Eindrücke gesammelt, Interviews und Hintergrundgespräche geführt. Demnächst planen wir ein Streitgespräch - mit Ihren Fragen.

Aus der Recherche-Redaktion

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

die Bundeskanzlerin hat Post bekommen, Betreff: TTIP. Mehr als hundert Ärzte und Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen haben einen offenen Brief an Angela Merkel geschrieben. Sie fordern, Merkel möge ihren "großen Einfluss geltend" machen, die Verhandlungen zum umstrittenen Freihandelsabkommen zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union zu stoppen.

Über eine Antwort der Kanzlerin ist bislang nichts bekannt. Die Verhandlungen gingen vergangene Woche indes unvermindert weiter. In der sechsten Runde vom 14. bis 18. Juli. haben Lobbyisten für TTIP geworben, Aktivisten dagegen getrommelt. Mit kritischen Stellungnahmen haben sie fast das IT-System der Kommission lahmgelegt, das von der "Attacke" überfordert war, wie Handelskommissar Karel De Gucht die etwa 150 000 Beiträge im Rahmen der Konsultationen zum Investorenschutz nannte.

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(Foto: dpa)

Die SZ hat in der vorigen Woche für die TTIP-Recherche zwei Reporter nach Brüssel geschickt. Jannis Brühl und Matthias Kolb haben im Europaviertel mit Kritikern und Befürwortern des Freihandelsabkommens gesprochen. Sozusagen als Appetithappen für die TTIP-Recherche, deren Ergebnisse wir Mitte August veröffentlichen werden, haben sie ihre Eindrücke von aktuellen Entwicklungen und Terminen vor Ort geschildert.

Sie haben von der Gründung der Europäischen Bürgerinitiative "Stop TTIP" berichtet und erklärt, warum das TTIP-Stakeholder-Treffen, bei dem Interessenvertreter vor EU- und US-Diplomaten ihre Meinungen, Wünsche und Sorgen äußern konnten, mehr Show war als eine Veranstaltung im Dienste echter Transparenz.

Für Jannis Brühl steht fest: Das Chlorhuhn ist tot, es lebe ISDS! Der Investorenschutz hat das nach amerikanischer Art desinfizierte Geflügelfleisch (das wohl ohnehin nie gekommen wäre und das Experten obendrein für ungefährlich halten) als größten Streitpunkt abgelöst. Das Thema begegnete ihm überall: auf der Konferenz der freihandelskritischen Aktivisten, während des Lobbytreffens in Brüssel und beim Besuch eines US-Diplomaten an der Münchner Universität. Dieser sollte Studenten von der amerikanischen Sichtweise überzeugen. Außerdem hat Brühl einen Brüsseler Lobbyisten getroffen, der sich dafür einsetzt, dass ISDS am Ende in TTIP verankert wird. Denn die Gegenkampagne der Streitschlichtungsanwälte läuft - die Anwälte fürchten um ihr Multi-Millionen-Geschäft.

Matthias Kolb hat sich vor allem damit beschäftigt, wie es den wenigen Aktivisten bisher gelingt, die Öffentlichkeit mit wenig Geld auf einen TTIP-kritischen Kurs zu bringen. Sie setzen auf Emotionen, Twitter und Facebook sowie auf akribisch recherchierte Studien. Die Gegenseite - also die Lobbyisten und auch die EU-Kommission - tut sich trotz viel größerer Budgets da schwerer: Sie klagt darüber, dass die Kritiker nur "falsche Mythen" verbreiteten. "Wir müssen unsere Botschaft menschlicher machen", sagt ein Firmenvertreter. Die Amerikaner sind auch aktiv: Kolb traf eine Gruppe europäischer Journalisten, die sich auf Einladung Washingtons über TTIP informierte. Zuerst hatten sie Termine in Brüssel, anschließend in der US-Hauptstadt und in Kalifornien.

Die Recherchen in der belgischen Hauptstadt werden unseren TTIP-Schwerpunkt maßgeblich stützen. Sie werden in den geplanten Faktencheck einfließen, in Reportagen und Porträts münden, sie haben mehr Klarheit darüber verschafft, wer in Sachen TTIP besonders viele Ressourcen einsetzt, um Einfluss auf die Verhandlungen zu nehmen. Das ist eine der Fragen, die Sie, unsere Leser, besonders beschäftigen. Wir werden versuchen, sie in einer Infografik zu beantworten.

Außerdem haben wir in der kommenden Woche ein Streitgespräch mit einigen namhaften Kulturschaffenden angesetzt, die mit SZ-Autoren über das Freihandelsabkommen diskutieren werden. Haben Sie Fragen zum Thema TTIP und Kultur - von der Filmförderung über die Subventionen für Theater bis hin zur Buchpreisbindung? Dann mailen Sie uns, twittern Sie (#TTIPRecherche) oder posten Sie auf unserer Facebook-Seite. Wir freuen uns über Anregungen und Vorschläge - hierzu oder darüber hinaus.

Beste Grüße,

Sabrina Ebitsch, Team Die Recherche

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