Worum geht es?
In der Diskussion um das Freihandelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA ist Fracking - eine umstrittene Methode, fossile Brennstoffe zu fördern - ein wichtiges Thema. Befürchtungen von Umwelt- und Klimaschützern überschneiden sich mit denen von Globalisierungskritikern.
Aus zwei Punkten in den Verhandlungspapieren ergibt sich ein Zusammenhang: zum einen der Wunsch der EU-Kommission nach einem Ende des US-amerikanischen Banns von Rohöl-Exporten und der Einschränkungen von Erdgas-Exporten. Europas Energie-Hunger ist riesig: Trotz aller Klimaschutzmaßnahmen waren es 2013 1676 Millionen Tonnen Öläquivalent - das sind etwa 13 Prozent des weltweiten Primärenergieverbrauchs. Seit 2004 deckt die EU mehr als die Hälfte des Energiebedarfs über Importe aus Nicht-EU-Staaten ab. Bei einem großen Teil handelt es sich um Öl, Erdgas und Kohle aus Russland - nicht erst seit der Ukraine-Krise will die EU-Kommission diese Abhängigkeit verringern.
Zum anderen gibt es eine indirekte Verbindung zwischen Investitionsschutz und Fracking: Der Investitionsschutz soll es Unternehmen ermöglichen, Staaten vor nicht öffentlichen Schiedsgerichten zu verklagen. Umweltschützer befürchten, dass Firmen, die in der EU mittels Fracking Erdgas fördern wollen, dadurch Regierungen unter Druck setzen, den Widerstand gegen die umstrittene Methode aufzugeben.
Beim Investitionsschutz sieht es so aus: Im Februar stellte Zeit Online einen geheimen Entwurf der EU-Kommission für das Freihandelsabkommen ins Netz. Anfang März veröffentlichten grüne EU-Abgeordnete ein ähnliches Geheimpapier. Demnach sollen internationale Großkonzerne per Investor-Staat-Schiedsgerichtverfahren (ISDS) Länder auf Schadensersatz verklagen können, wenn dort zum Beispiel strengere Umweltvorschriften eingeführt werden, die zu finanziellen Einbußen führen. Das EU-Parlament stimmte im April einer Vorlage zu, die finanzielle Verantwortlichkeiten in solchen Fällen regeln soll.
Angesichts der massiven Kritik setzte die EU-Kommission die Gespräche einige Zeit aus. Bis Anfang Juli gingen knapp 150 000 Beiträge zu ISDS ein, die die Kommission nun bis zum Spätherbst auswerten will. Der designierte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat am 15. Juli 2014 allerdings betont, er werde nicht akzeptieren, "dass die Rechtsprechung der Gerichte in den EU-Mitgliedstaaten durch Sonderregelungen für Investorenklagen eingeschränkt wird".
Dass die EU-Kommission von den USA fordert, die Export-Beschränkungen für Öl und Gas aufzuheben, belegen Papiere, die Huffington Post und Washington Post publizierten. Es geht um eine "rechtlich verbindliche Zusage, die den freien Export von Rohöl und Gasressourcen garantiert", und zwar "unverzüglich und automatisch". In den USA wächst die Bereitschaft, das insbesondere durch Fracking geförderte Öl und Erdgas (in Form von Flüssiggas) zu exportieren. Präsident Barack Obama signalisierte seine Bereitschaft, die weltweite Energieversorgung mit Erdgas zu unterstützen - was durch Freihandelsvereinbarungen erleichtert würde.
Weltweit gibt es mehr als 2000 internationale Investitionsabkommen, über die Konzerne vor ein Schiedsgericht ziehen können. Insgesamt nehmen diese Art von Klagen zu. Die Bundesregierung wird derzeit zum Beispiel vom schwedischen Energieunternehmen Vattenfall wegen des Atomausstiegs verklagt.
Bislang haben viele europäischen Länder allerdings keine direkten Investitionsschutzverträge mit den USA. Amerikanische Firmen müssen gegen Entscheidungen eines Staates vor die Gerichte eben jenes Landes ziehen. Diese nationalen Gerichte müssen entscheiden, ob die staatlichen Eingriffe rechtswidrig sind - oder ob das Interesse der Allgemeinheit vorgeht. TTIP soll den US-Konzernen die Möglichkeit geben, Regierungen vor internationalen Schiedsgerichten zu verklagen - was einheimische Konzerne nicht können.
Um die Abhängigkeit von Importen zu verringern, beschlossen die Amerikaner 1975 ein fast vollständiges Verbot von Rohölexporten. Schon seit 1938 muss die Regierung den Export von Erdgas genehmigen - außer in Länder, mit denen ein Freihandelsabkommen besteht. Da die Amerikaner bis vor kurzem selbst auf Importe angewiesen waren, war ein solcher Export kein Thema. Der Boom von Schieferöl und -gas in den USA führt dazu, dass die Preise für Erdgas stark gefallen sind.
International hat Amerikas zunehmende Selbstversorgung die Gefahr dramatischer Ölpreissteigerungen - vorerst - gebannt. Der neue Reichtum an Erdgas hat dazu geführt, dass 2011 erstmals der Export von US-Flüssiggas auch in Länder genehmigt wurde, mit denen kein Freihandelsabkommen besteht. Jüngst wurde erstmals der Verkauf von Rohöl ins Ausland erlaubt. In den USA wird nun diskutiert, ob tatsächlich mehr Flüssiggas und Öl exportiert werden sollte. Denn das dürfte weitreichende Folgen haben.
Die Möglichkeit, den USA Gas und Öl im großen Stil abzukaufen, würde die Energieversorgung in Europa sichern und die Abhängigkeit von Russland verringern. Die Förderung fossiler Brennstoffe durch Fracking würde bei wachsendem Absatzmarkt zunehmen, wodurch die Weltmarktpreise sinken dürften - und damit auch die Energiepreise für die Verbraucher und die Wirtschaft in Europa. Derzeit zahlen die Menschen in Europa deutlich mehr als die US-Amerikaner.
Die USA registrieren außerdem einen positiven Effekt für Umwelt und Klima. Beim Einsatz von Erdgas entsteht weniger Kohlendioxid als bei der Energiegewinnung mit Öl oder Kohle. In Europa wäre die Klimabilanz des eingeführten Gases deutlich schlechter als in den USA, da der Brennstoff energieaufwendig verflüssigt und transportiert werden muss. Insgesamt aber scheint eine mittelfristige Versorgung der Welt mit günstiger Energie aus fossilen Brennstoffen dank Fracking gewährleistet.
Gas wird daher teils als Übergangslösung auf dem Weg zu klimafreundlichen Alternativen wie Sonnen- oder Windenergie gelobt - eine einfache und bequeme Lösung angesichts der geringen Energiespar-Bereitschaft. 2013 forderte EU-Energiekommissar Günther Oettinger deshalb, die Methode auch in Europa praktisch zu erproben.
Und was ist mit den umstrittenen Schiedsgerichten? Ein wichtiges Argument der Befürworter lautet, dass reguläre Gerichte parteiisch gegen Investoren und für den verklagten Staat urteilen könnten. Parlamente fügen sich - eher als die Wirtschaft - auch mitunter übertriebenen Ängsten der Bevölkerung. Das gilt womöglich auch für die Erdgasförderung mittels Fracking. Das Risiko für die Umwelt und das Trinkwasser ist nach Meinung vieler Geologen nicht so groß wie häufig dargestellt. Energieunternehmen, die in Europa und in Deutschland Schiefergas gewinnen wollen, brauchen jedoch einen Schutz ihrer Investitionen, da die Förderung teuer ist und langfristig geplant werden muss.
Internationale Schiedsgerichte, befürchten Kritiker, würden Großkonzerne großzügiger behandeln als reguläre Gerichte. Das könnte die kritische Position von Regierungen in Europa gegenüber Fracking unterlaufen. Mehrere Länder haben bereits Moratorien (Deutschland) oder Gesetze (Frankreich, Bulgarien) gegen das Verfahren verabschiedet. Konzerne, die in diesen Ländern in die Förderung von Schiefergas und -öl investiert haben, könnten via TTIP auf Schadensersatz klagen oder versuchen, Druck aufzubauen, um entsprechende Verbote zu verhindern.
Dafür sprechen Beispiele wie der US-Konzern Hess Oil, der in Frankreich vor Gericht zog, nachdem Fracking dort verboten wurde. Das Unternehmen Lone Pine fordert unter Berufung auf das nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta von Kanada Entschädigung, da ein Moratorium in der Provinz Québec seit 2012 Fracking untersagt. "Schon jetzt", warnen Organisationen wie Friends of the Earth, Sierra Club und PowerShift in einem gemeinsamen Papier, "versuchen die Energiekonzerne also, die geltenden Fracking-Verbote juristisch anzufechten".
Hinzu kommt: Wenn die US-Unternehmen neue Absatzmärkte erschließen können, dürfte das Gas in den USA wieder teurer werden. Ob die finanzielle Belastung für Bürger und energieintensive Unternehmen durch die Gewinne aus den Gasexporten ausgeglichen werden, ist unklar. Es sei zu erwarten, warnt die Energy Information Administration (EIA), dass die Amerikaner wieder stärker auf die klimaschädlichere Kohle zurückgreifen. Niedrige Öl- und Gaspreise in Europa durch Frackinggas-Importe würden die Absatzmöglichkeiten alternativer Energien einschränken, worunter deren Weiterentwicklung leiden würde. Der Status quo würde zementiert, warnt Ilana Solomon vom Sierra Club.
Folgen für Grundwasser und Umwelt
Das Verfahren birgt auch direkte Risiken - und zwar für Umwelt und Grundwasser. In den USA wird mittels Fracking Gas aus Schiefergestein gewonnen. In diesen sogenannten unkonventionellen Lagerstätten ist das Erdgas fest gebunden. Um es zu fördern, wird mit hohem Druck über Stunden eine Mischung aus Wasser, teils giftigen Chemikalien und Sand hineingepresst. So wird das Gestein "aufgebrochen" (englisch: fracturing) und das Gas kann durch Risse entweichen.
Dabei werden nicht nur gigantische Mengen Trinkwasser verbraucht. Mehrfach ist Frack-Flüssigkeit und Erdgas in die Umwelt und ins Trinkwasser gelangt. Das zeigen zum Beispiel Untersuchungen der US-Umweltbehörde EPA, der Duke University in North Carolina und der University of Missouri in Columbia. Außerdem kann giftiger Flowback aus Frackflüssigkeit und Wasser über Lecks in die Umwelt gelangen. Es besteht das Risiko, dass Frackingflüssigkeit ins Grundwasser gerät. Außerdem werden große Mengen Abwasser häufig in den Boden zurückgeführt und dort "verpresst". In den USA hat das schon zu kleineren Erdbeben geführt. Kritiker befürchten, dass Giftstoffe nach dem Verpressen ins Grundwasser sickern könnten.
In den USA wächst der Widerstand. Im Bundesstaat New York etwa besteht seit 2008 ein Fracking-Moratorium. Mittlerweile dürfen Städte dort eigenständig das Verfahren auf ihrem Gebiet verbieten. Sollten die USA allerdings damit beginnen, Flüssiggas im großen Stil zu exportieren, dürfte trotz aller Proteste Fracking noch zunehmen.
In Deutschland wird schon seit den 60er Jahren Fracking eingesetzt, um sogenanntes tight gas zu gewinnen. Dieses Gas befindet sich in wenig durchlässigen Sandsteinschichten und strömt von selbst zum Bohrloch, wenn es durch Fracking "stimuliert" wird. Obwohl der Aufwand hier geringer ist als beim Schiefergas-Fracking, sind dabei durch Lecks wiederholt giftige Stoffe ins Erdreich und Grundwasser gesickert - angeblich aber nie in gefährlichen Konzentrationen.
Auf der Grundlage von Untersuchungen unter anderem des Umweltbundesamtes (UBA) hat sich die Bundesregierung im Juli entschlossen, die Förderung von Gas aus Schiefer- und Kohleflözgestein bis 2021 zu verbieten. Allerdings bleiben wissenschaftliche Probebohrungen sowie die Förderung von tight gas unterhalb einer Tiefe von 3000 Metern erlaubt - wenn die Frackflüssigkeit nur "schwach wassergefährdend" ist. Außerdem muss eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorgenommen werden; in Wasserschutzgebieten ist Fracking untersagt.
Umweltschützern etwa vom Bund Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), dem Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) und dem Kampagnennetzwerk Campact geht das nicht weit genug. "Wer es mit dem Schutz unseres Trinkwassers und des Weltklimas ernst meint", kritisierte etwa Chris Methmann von Campact, "der muss alle Formen des Fracking verbieten." Auch Antje von Broock vom BUND spricht von einer "riskanten Technologie mit unkontrollierbaren Auswirkungen auf Mensch und Umwelt", weshalb Fracking "ohne Wenn und Aber verboten" gehöre.
Bei der Debatte um TTIP und Fracking geht es um die Sicherung der europäischen Energieversorgung, um Umweltschutz sowie die Folgen für das Klima. Die mögliche Bedrohung der Natur und des Trinkwassers durch Fracking ist ein lokal begrenztes Problem und ließe sich Experten zufolge technisch relativ gut kontrollieren. Allerdings müsste die Technik weiter erforscht werden. Bei der Energieversorgung geht es vor allem um unseren Lebensstil und damit die Frage, ob wir weiterhin so viel Energie so billig verbrauchen können wie bisher.
Aber angesichts der Bedeutung der Erdgasförderung für den Klimawandel treten diese Aspekte in den Hintergrund. Die Menschheit verbraucht immer mehr Energie. Der Ausstoß von Treibhausgasen wie Kohlendioxid steigt - seit 1990 um etwa 60 Prozent. Manche betrachten Fracking-Erdgas als umweltfreundliche Alternative zu Kohle für jene Übergangszeit, bis die erneuerbaren Energien ausgereift sind. Aber das ist eine fatale Täuschung. Es wird gern darauf verwiesen, dass sich die katastrophalen Folgen der Erderwärmung verhindern lassen - wenn es gelingt, den Temperaturanstieg auf maximal zwei Grad zu beschränken. Überhört wird, dass dazu die Kohlendioxid-Emissionen drastisch reduziert werden müssen.
Wer auf Erdgas setzt, das dank Fracking relativ billig zur Verfügung steht, verführt mittels niedriger Energiepreise jedoch zur Verschwendung, wie in den USA zu beobachten. Die Förderung von Fracking-Erdgas zementiert außerdem den Einsatz fossiler Brennstoffe. Tatsächlich ist zu befürchten, dass Fracking-Erdgas die notwendige Weiterentwicklung der Erneuerbaren und die Einführung effizienterer Energiesparmaßnahmen ausbremst.
Selbst wenn die Angst der Bevölkerung ums Trinkwasser übertrieben wäre und Erdgas die Energiesicherheit und den Wohlstand in Deutschland und weltweit mittelfristig bewahren könnte: Langfristig gehört Fracking-Erdgas zu den Faktoren, die die Erderwärmung vorantreiben und den Kampf gegen den Klimawandel bremsen. Die EU-Kommission sollte deshalb darauf verzichten, sich über TTIP den Zugriff auf das Erdgas aus den USA zu verschaffen. Und sie sollte verhindern, dass sich Fracking über das Instrument des Investitionsschutzes eine Hintertür in die EU öffnet.