Tsipras' Reise nach Moskau:Im Zeichen des fauligen Pfirsichs

Prime Minister Alexis Tsipras Speaks To Lawmakers As Greece In Danger Of Default

Umstrittener Besuch in Moskau: Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras

(Foto: Bloomberg)
  • Der Besuch des griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras bei Russlands Präsidenten Wladimir Putin verärgert manche Europapolitiker.
  • Tsipras will eine Ausnahme vom russischen Gegenembargo für Früchte und andere Agrarprodukte erreichen - und seine Position in den Verhandlungen mit den europäischen Kreditgebern stärken.
  • Russland will die Front der Sanktionsbefürworter in der EU schwächen.
  • Beide Länder sind einander lange verbunden, Griechenlands Westbindung war innenpolitisch immer umstritten.

Von Jannis Brühl

Am Mittwoch in Moskau werden sich Ukraine- und Euro-Krise so stark wie wohl noch nie überlagern. Dann trifft der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras auf Wladimir Putin, weshalb europäische Politiker jetzt schon ganz aufgeregt sind. Sie wittern Verrat.

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) warnte Tsipras, seine europäischen Partner durch Deals mit Russland nicht zu "verprellen". Gunther Krichbaum (CDU), Vorsitzender des Europa-Ausschusses des Bundestages, sagte: "Wer deshalb weiterhin europäische Hilfen möchte, dessen Kompass muss nach Brüssel zeigen und nicht nach Moskau."

Worum geht es beim Moskauer Treffen, auf das Europapolitiker mit solchen Drohungen reagieren?

Griechenlands Interessen

Vergangenen Sommer verrotteten tonnenweise Erdbeeren und Pfirsiche in Griechenland, die für den russischen Markt bestimmt waren. Das soll nicht noch einmal vorkommen, wenn es nach Tsipras geht. Deshalb ist der offizielle Hauptpunkt der Verhandlungen in Moskau, Russlands Gegenembargo gegen griechische Produkte zu lockern. Der Kreml hatte es als Reaktion auf EU-Sanktionen in der Krim-Krise verhängt. Erreicht Athen eine Ausnahme, würde es aus der Embargo-Front der EU ausscheren. Die russischen Sanktionen hätten die griechische Wirtschaft "ernsthaft beschädigt", sagte Tsipras der russischen Nachrichtenagentur Tass. Die Fruchtexporte nach Russland waren 2013 180 Millionen Euro wert.

Eine Sprecherin der konservativen Vorgängerregierung hatte die Forderungen der Bauern nach einem Deal mit Russland vergangenes Jahr mit den Worten abgelehnt: "Sie können keine Außenpolitik auf der Grundlage von Pfirsichen machen." Tsipras will nun wohl genau das tun.

Lockerungen des Embargos seien möglich, berichtet Bloomberg unter Berufung auf russische Regierungsquellen. Um es formell aufrecht zu erhalten und dennoch griechische Produkte ins Land zu lassen, könnte Putin demnach Schlupflöcher öffnen: Griechische Agrargüter könnten in Russland verpackt und dann als "russisch" verkauft werden - oder griechische Unternehmen das Embargo durch Joint-Ventures mit russischen Firmen umgehen.

In den Verhandlungen wird es auch um Energieversorgung gehen. Der griechische Außenminister Nikos Kotzias wird in Moskau zu Tsipras stoßen. Er wird direkt aus Budapest kommen, und ein Dokument mitbringen, das außer ihm auch die Außenminister der Türkei, Serbiens, Ungarns und Mazedoniens unterschrieben haben sollen: eine Bekundung ihrer Absicht, die russische Pipeline Turkish Stream über ihr Gebiet laufen zu lassen. Russisches Gas ist essentiell für Griechenland, über Turkish Stream würde sich das Land enger an Moskau binden. Athen hofft auch auf Rabatte beim Gaseinkauf.

Aber natürlich geht es in Moskau nicht nur um ein bisschen Steinobst und Energie. Es geht um Verhandlungspositionen im Streit um Hilfsgelder für Griechenland. Denn überlagert werden die Gespräche von der drohenden Pleite des Landes. Und sollte sich Griechenland Kredite aus Russland besorgen, würde das die europäischen HIlfsprogramme in Frage stellen.

Der Besuch soll also wohl auch Druck auf EU, Europäische Zentralbank (EZB) und Internationalen Währungsfonds (IWF) aufbauen. Immer wieder bemängeln die Kreditgeber die griechischen Reformvorschläge als nicht ausreichend, die verhandlungen über weitere Hilfskredite sind zäh. Und in Griechenland wird das Geld knapp.

Am Donnerstag ist eine Rückzahlung von 450 Millionen Euro an den IWF fällig. Finanzminister Dimitris Mardas musste an diesem Samstag öffentlich versichern, dass die Summe bezahlt werden kann, genau wie Gehälter für öffentliche Angestellte und Rentenzahlungen.

Auch wenn Tsipras verkündet hat, Russland nicht um einen Kredit zu bitten, will er mit seinem Moskau-Besuch wohl der EU signalisieren: Es gibt Alternativen zu euch!

Er nimmt eine Mittelposition zwischen dem Westen und Russland ein: Einerseits versichert er, Griechenland sei fester Teil von EU und Nato. Andererseits kritisiert er die Sanktionen gegen Russland als "sinnlos" und wirbt dafür, Putin in eine europäische Sicherheitsarchitektur miteinzubeziehen - was angesichts der Ukraine-Krise vor allem Polen und die baltischen Staaten ärgert. Im Guardian warnt Kolumnistin Natalie Nougayrède, Tsipras könnte sich zu Putins "nützlichem Idioten" machen. Trotz der kritischen Rhetorik von Tsipras und seinen Ministern trägt Griechenland die Sanktionen aber weiterhin mit.

Russlands Interessen

Die neue griechische Regierung und ihr Streit mit den Kreditgebern kommt Wladimir Putin gerade Recht. Sie ist für ihn das fehlende Bindeglied zwischen Euro- und Ukraine-Krise. Er will die Front der Sanktionsbefürworter in der EU durchlöchern. Griechenland wäre die zweite Regierung eines EU-Landes, die er auf seine Seite zieht, nach der des ungarischen Präsidenten Viktor Órban, auch Zypern ist eher russlandfreundlich.

In Athen fand Russland schon zweimal einen Unterstützer seiner Positionen innerhalb des Westens. In den Neunzigern wendete sich Griechenland als einziges Nato-Land gegen die Bombardierung Serbiens, später war es einer von fünf Staaten, die die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo von Serbien nicht anerkannten.

Russland hat Griechenland, Zypern und Ungarn schon signalisiert, dass ihre Früchte und ihr Gemüse nach dem Ende des Embargos als erste wieder in russischen Supermärkten landen würden. Ein Anreiz, sich in der EU noch stärker für ein Ende der Sanktionen einzusetzen.

Der Kreml hat weitere Fürsprecher in Europa. Unter den EU-Beitrittskandidaten ist es Serbien, wie Griechenland und Russland von einer orthodoxen Kirche geprägt. Russland unterstützt zudem rechte Parteien in Europa, darunter den Front National in Frankreich mit einem Kredit. Die nationalistische Partei kämpft gegen die EU und die Westbindung Frankreichs.

Tsipras' Regierung bietet sich als Verbündete an, sie braucht Geld und ist in vielen westlichen Hauptstädten nicht wohlgelitten. Aber ist Moskau für Griechenland überhaupt eine ernstzunehmende Alternative zu Krediten aus Europa?

Russland wird Tsipras Bloomberg zufolge weder Geld noch Gasrabatte anbieten. Da liegt wohl der entscheidende Punkt: Das Treffen von Putin und Tsipras ist öffentlichkeitswirksam, aber Russland hätte derzeit gar kein Geld, um Griechenland zu helfen und sich als ernsthafte Alternative zur EU anzubieten. Der Rubel ist abgestürzt, die Währungsreserven geschmolzen, das Land steht kurz vor einer Rezession. Es dürfte also eher moralische Unterstützung sein, die Tsipras sich in Moskau abholt.

Griechenland zwischen West und Ost

Die Verbindungen zwischen Griechen und Russen reichen mehr als tausend Jahre zurück. Griechische Missionare brachten das orthodoxe Christentum nach Russland. Der Zar unterstützte Griechenland in seinem Freiheitskampf gegen das Osmanische Reich (mehr zur gemeinsamen Geschichte beider Länder lesen Sie in diesem SZ-Artikel). Zudem gibt es eine große griechische Minderheit in Russland. Im Süden leben die Pontier, oder Schwarzmeergriechen, und in Moskau geschätzt 80 000 Griechen.

Im 20. Jahrhundert war die griechische Bevölkerung keineswegs uneingeschränkt für die Westbindung des Landes, die mit Nato- und EU-Beitritt einherging. Die Zugehörigkeit zum westlichen Block, die Winston Churchill noch während des Krieges einfädelte, schmerzte viele in der griechischen Linken. Sie haben nicht vergessen, dass britische Truppen während des Bürgerkrieges auf Seiten der rechten Regierung gegen die Kommunisten kämpften und dass die Nato-Partner später die griechische Militärjunta tolerierten. Allerdings steht Tsipras' politisches Denken bei aller EU-Skepsis nicht in der Tradition der griechischen Alt-Kommunisten, Syriza ist ein Kind der neuen griechischen Krise.

Auch die Verbundenheit beider Länder über ihre orthodoxen Kirchen kann für Tsipras persönlich kein Anknüpfungspunkt sein. Mit dem nationalistischen Kurs Putins, der auf die Einbindung der russischen Kirche setzt, kann er sich wohl kaum identifizieren: Syriza ist atheistisch geprägt. Anders sieht das allerdings bei seinem kleinen Koalitionspartner aus, die Anel-Partei ist klerikal-nationalistisch.

Enge Kooperation mit Russland ist keine Erfindung von Syriza, ebenso wie ihr Versuch, über die russische Pipeline die Energieversorgung sicherzustellen. Schon der konservative Premierminister Kostas Karamanlis - Vertreter des alten griechischen Parteiensystems, das Syriza bekämpfte - verhandelte zum Ärger des Westens mit Moskau darüber, die russische South-Stream-Pipeline über Griechenland bauen zu lassen. Putin beerdigte das Projekt im Zuge der Ukraine-Krise, aus South Stream wurde Turkish Stream - jenes Projekt, an dem die Syriza-Regierung nun interessiert ist.

In die Aufregung über Tsipras' Reise stimmt eine nicht mit ein: Bundeskanzlerin Angela Merkel. Auf einer Pressekonferenz mit dem französischen Präsidenten François Hollande am Dienstag sagte sie: "Wir waren ja auch schon in Moskau und sind trotzdem Mitglieder der Europäischen Union und setzen uns für unsere Gemeinsamkeit ein." Russland als Störfaktor in der Griechenland-Krise darzustellen, überlässt sie wohl lieber anderen.

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