Süddeutsche Zeitung

Tschetschenien:Wer kritisiert, stirbt

Tschetscheniens Machthaber Kadyrow wird vorgeworfen, ein brutales Gewaltregime zu führen - in der ermordeten Journalistin Estemirowa soll er eine "persönliche Feindin" gesehen haben.

Oliver Bilger

Die zeitliche Abfolge wirkt fast zynisch. Nur einige Tage vor der Ermordung der Menschenrechtsaktivistin und Journalistin Natalja Estemirowa veröffentlichte Amnesty International einen Bericht zur Menschenrechtssituation im Nordkaukasus.

Darin trägt die Organisation Berichte über willkürliche Tötungen, Folter und Entführungen in den Republiken Tschetschenien, Inguschetien, Dagestan und Kabardino-Balkarien zusammen. Aufgeführt sind auch Drohungen gegen Menschenrechtler und unabhängige Journalisten.

Die russische Regierung warf daraufhin der Menschenrechtsorganisation vor, die Lage voreingenommen zu betrachten. Die Situation, so ließ das Außenministerium in Moskau verlauten, sei zwar durch ethnische Spannungen sowie kriminelle und extremistische Aktivitäten erschwert, die regionalen Behörden träfen jedoch Maßnahmen um dagegen vorzugehen.

Den Bericht von Amnesty International nannte die Regierung "tendenziös", er ziele darauf ab, "erneut negative Aufregung über die Menschenrechtssituation in Russland im Auftrag gewisser ausländischer politischer Kreise zu schüren", hieß es aus dem Ministerium.

Nur wenige Tage später beweist der Mord an Estemirowa, wie es um die Situation der Menschenrechte in der Region tatsächlich steht. Die 50-Jährige wurde vor ihrem Haus in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny entführt und wenige Stunden später in der Nachbarrepublik Inguschetien ermordet aufgefunden. Zwar ist der Krieg in Tschetschenien beendet, doch geht die Gewalt weiter.

Estemirowa ist nicht das einzige Opfer. Ihr Tod rückt auch die anderen ermordeten Menschenrechtsaktivisten wieder in den Fokus. Estemirowa hat noch vor wenigen Jahren mit der bekannten russischen Journalistin Anna Politkowskaja zusammengearbeitet, bevor diese ermordet wurde.

Politkowskaja belastete Kadyrow

Die mutige Journalistin der regierungskritischen Zeitung Nowaja Gaseta musste sterben, weil sie immer wieder über Menschenrechtsverletzungen im Tschetschenienkrieg berichtet hatte. In ihren Berichten ging es um Verbrechen der russischen Armee und den verbündeten paramilitärischen Gruppen in Tschetschenien.

Politkowskaja schrieb über Raub, Folter und Mord und belastete auch den heutigen Präsidenten der Republik Ramsan Kadyrow. Im Oktober vor drei Jahren wurde die Journalistin von einem Unbekannten im Treppenhaus vor ihrer Moskauer Wohnung erschossen.

Der im November 2008 begonnene Prozess gegen vier mutmaßliche Mittäter vor einem Moskauer Schwurgericht endete im Februar mit einem Freispruch für alle Angeklagten. "Mangel an Beweisen" lautete die Begründung. Der Oberste Gerichtshof Russlands stellte Ende Juni allerdings Verfahrensfehler fest und hob die Freisprüche gegen die Angeklagten auf. Nun muss neu verhandelt werden.

Ein ähnliches Schicksal wie die Reporterin ereilte im vergangenen Januar den Anwalt Stanislaw Markelow. Der Jurist wurde auf dem Rückweg von einer Pressekonferenz erschossen. Markelow vertrat Opfer von Menschenrechtsverletzung in Tschetschenien.

Der 34-Jährige war außerdem auch der Anwalt Politkowskajas. Die Menschenrechtlerin Ljudmila Alexejewa brachte die Tat deshalb auch mit dem Tod der Journalistin in Zusammenhang.

Seine Bemühungen um die Aufklärung von Menschenrechtsverletzungen musste auch der Publizist Magomed Jewlojew mit seinem Leben zahlen. Auf seiner Internetseite hatte er Informationen über Folter, Vergewaltigungen und Morde in Inguschetien veröffentlicht.

Im vergangenen August starb der Betreiber des regierungskritischen Onlinedienstes in Polizeigewahrsam, durch einen Kopfschuss. Die Staatsanwaltschaft sprach anschließend von "fahrlässiger Tötung".

Der Mord an Estemirowa weckt erneut Zweifel am tschetschenischen Präsidenten Kadyrow. Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschuldigte den kremltreuen Machthaber, für den Mord an Estemirowa verantwortlich zu sein.

Anna Politkowskajas Traum

Memorial-Chef Oleg Orlow erinnerte daran, dass Kadyrow Estemirowa "beleidigt" und als "seine persönliche Feindin" bezeichnet habe. "Wir wissen nicht, ob er selbst den Befehl gegeben hat oder einer seiner engen Vertrauten, um ihm zu gefallen", hieß es in der Erklärung von Memorial.

Kadyrow führt nach Ansicht von Menschenrechtlern schon seit Jahren ein auf Folter und Mord gestütztes Schreckensregiment in der Republik. Die britische Tageszeitung Guardian schrieb über den Präsidenten bereits vor einer Weile: "Kadyrow und sein Clan haben die Provinz beruhigt, indem sie eine Herrschaft mittelalterlicher Brutalitäten einführten."

Nach dem Tod von Anna Politkowskaja hielten Kadyrow viele für den Drahtzieher. Die kritische Journalistin hatte in einem ihrer letzten Interviews gesagt, sie träume davon, dass Kadyrow vor einem Gericht stehen muss und alle seine Verbrechen untersucht werden.

Bisher ist Politkowskajas Wunsch nicht in Erfüllung gegangen. Eine Normalisierung im Nordkaukasus, heißt es im Bericht von Amnesty International, ist ohne ein Ende der Menschenrechtsverletzungen unmöglich.

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SZ vom 17. Juli 2009/odg
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